Schwarzlicht (German Edition)
ging Vincent der Großvater nicht aus dem Kopf. Er hatte viele Erinnerungen, auch gute. Wie stolz er als Kind gewesen war, wenn der Alte ihn an den Wochenenden ins Rheinstadion mitnahm, sogar nach Basel zum Europapokalendspiel der Fortuna gegen den FC Barcelona! All die Radtouren oder Ausflüge mit dem Mercedes, auf denen ihm Gerhard Veih nach seiner Pensionierung die Sehenswürdigkeiten der Heimat erklärt hatte – Vincent war sich sicher gewesen, dass sein Großvater ihn liebte. Zumindest hatte er nie zuvor solche Zuwendung erfahren.
Ordnung ist die Tochter der Überlegung – noch so ein Spruch des Alten. Opas Lob war das Größte für ihn gewesen. Erst mit der Pubertät begann er, sich gegen den Alten aufzulehnen. Und hatte nach dessen Tod deswegen ein schlechtes Gewissen.
Vincent räumte Platz für Kaffee und Papierkram auf seinem Schreibtisch frei. Er blätterte den Stapel durch. Zuoberst lag eine Erklärung der Behördenleitung zu den Vorfällen rund um die Demonstration am Seestern. Der Tenor lautete, dass der schwerverletzte Student an seinem Zustand selbst schuld sei – die Gewalt sei von ihm ausgegangen, die Videodokumentation könne das belegen.
Den restlichen Kram sortierte Vincent nach Dringlichkeit. Er schnappte sich die Umlaufmappe mit den aktuellen Fällen der anderen Dienststellen, doch er fand darin nichts über die Ermittlungen des KK14 wegen des Einbruchs in die Büros der Landtagsopposition und wegen der Wanzen, die dort gefunden worden waren. Ihm fiel Ingos Kommentar ein: Weil unser Behördenleiter der Regierungspartei angehört und der Minister Druck macht .
Marietta und Jürgen von der Kriminalwache hatten ihren Bericht zum Fund von Castorps Leiche und die Protokolle der Zeugenbefragung bereits abgegeben. Vincent staunte – so zügig war die Schreibarbeit während seiner Zeit in dieser Truppe nicht erledigt worden.
Schließlich ein Memo seines Inspektionsleiters an ihn persönlich. Darin bat Thann um einen Vorschlag, wer jetzt an Vincents Stelle die dritte Mordkommission des KK11 leiten solle. Eigentlich kommt nur Anna Winkler infrage, dachte Vincent.
Er ertappte sich bei der Überlegung, dass er damit womöglich eine Konkurrentin um die Leitung der Dienststelle ins Spiel brachte. Bevorzugten die Obermuftis vielleicht eine Frau?
Der Apparat auf seinem Schreibtisch schrillte.
Schon wieder Thann: «Wann bekomme ich etwas Schriftliches zum Tod des Ministerpräsidenten? Die Medien müssen informiert werden!»
«Bin schon dabei.»
«Haben Sie keinen MK-Leiter, an den Sie die Ermittlung delegieren können? Was ist mit Becker, dem Blondschopf?»
«Keine Sorge, ich weiß ganz gut, wann ich delegieren kann und wann nicht.»
«Soso. Meinetwegen. Der Ministerpräsident ist also ausgerutscht, mit dem Kopf aufgeschlagen und ins Wasser gefallen?»
«So hat es zunächst ausgesehen, aber …»
«Ich hatte eben den Polizeipräsidenten am Telefon. Er will, dass es vorerst dabei bleibt.»
«Aber wir haben Blut …»
«Wann liegt die DNA-Analyse vor?»
«Heute im Lauf des Tages, hoffe ich.»
«Ohne das Ergebnis ist alles nur Spekulatius und Kokolores. Und wir wollen uns doch nicht mit dem Papst anlegen, nicht wahr? Wir haben schon genug Ärger wegen der Krawalle an der Osterkamp-Baustelle. Sie müssen zugeben, Kollege Veih, dass Sie mit dem Verdacht eines Mordanschlags nur die Pferde scheu gemacht haben. Mit der Folge, dass ein Scheißdemonstrant im Koma liegt und die Polizei mal wieder als Sündenbock gilt!»
Es fiel Vincent schwer, ruhig zu bleiben. Der Inspektionsleiter verdrehte die Tatsachen. Vincent setzte zum Widerspruch an, doch die hektische Stimme am Ende der Leitung ließ ihn nicht zu Wort kommen.
«Und halten Sie Osterkamp aus Ihrem Bericht heraus. Der Mann ist eine wichtige Persönlichkeit, und es geht keinen etwas an, mit wem Castorp befreundet war und in wessen Apartment er logierte.»
«Meint der Polizeipräsident.»
«Ich bin nur der Bote.»
«Aber im Fall Castorp gibt es handfeste Indizien für ein Tötungsdelikt. Da hat jemand …»
«Ich kann auch anordnen, dass Sie den Fall an einen Ihrer MK-Leiter delegieren. Wollen Sie das?»
Vincent spürte, wie es in ihm gärte. Er hatte schon mehrfach mit Vorgesetzten gestritten – über die Bewertung von Zeugenaussagen oder die richtige Ermittlungstaktik. Politischen Druck war er nicht gewohnt, Thanns Gehabe war ihm verhasst.
«Haben wir uns verstanden, Herr Vincent Che Veih?»
Beim Auflegen fragte sich Vincent, wie Ela
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