Schwarzlicht (German Edition)
vermutete Vincent. Nüchtern käme sie nie auf die Idee, ihn anzurufen.
«Sag, dass alles gut wird, mein Junge.»
«Was meinst du damit?»
«Einen dritten Prozess halte ich nicht aus. Ich geh nicht noch einmal in den Bau.»
«Was sagt dein Anwalt dazu?»
«Noch hab ich keinen.»
«Und der Anruf, als ich gestern bei dir war?»
Sie zögerte. «Das war Jens. Er wollte …»
«Jens? Jens Künzel? Der Jens Künzel?»
«Krieg dich ein, Vincent. Ninotschka meint, er sei zwar nicht auf Strafrecht spezialisiert, aber in seiner Kanzlei würde es jemanden geben, der sich damit auskennt.»
Wusste ich’s doch, dachte Vincent. Nina und dieser Anwalt.
«Du bist doch auch im Strafrecht bewandert, Vincent. Wie schätzt du das ein?»
«Bitte?»
«Können sie mich drankriegen?»
«Höchstens, wenn es eine neue Zeugenaussage gibt, die dich wegen Mordes belastet. So wie damals nach der Wiedervereinigung, als deine Genossen ausgesagt haben, die sich …»
«Verräter! Scheiß-Kronzeugenregelung! Scheiß-Rachejustiz!»
«… in der DDR versteckt hatten.»
«Aber damals haben sie mir doch schon einen Nachschlag verpasst. Noch ein paar Jahre obendrauf!»
«Wegen Beihilfe, nicht wegen Mordes.»
«An alle, die gerade mithören: Ich habe nicht geschossen! Lasst mich endlich in Ruhe, ihr Schweine!» Vincent hörte, wie sie etwas trank. «Damit habe ich jetzt nicht dich gemeint, mein Junge.»
«Soll ich dir einen Anwalt besorgen?»
«Darum will sich Jens schon kümmern.»
Na wunderbar, dachte Vincent.
«Aber vielleicht möchtest du morgen zum Kaffee …»
«Keine Zeit, Brigitte. Du weißt doch.»
«Wegen Castorp, diesem korrupten Arsch? An alle, die zuhören: Er hat es wahrscheinlich verdient, aber ich habe damit ebenfalls nichts zu tun!»
Vincent redete noch eine Weile beruhigend auf sie ein, dann beendete er das Gespräch. Er starrte auf das Handy.
Er wählte Ninas Nummer und hörte anstelle des Freizeichens eine Ansage.
Nina Holsten. Bitte hinterlassen Sie Ihre Nachricht nach dem …
Er drückte die rote Taste. Es war besser so. Er war zu aufgewühlt, um die richtigen Worte zu finden. Fast im gleichen Moment begannen The Clash zu spielen.
Braun, der Pressesprecher, war dran. «Hab dich in der Aktuellen Stunde gesehen, Kollege Veih. Hast dich wacker geschlagen.»
«Die Tante wollte mich in eine bestimmte Richtung lenken.»
«Das wollen sie immer. Aber du bist nicht auf sie hereingefallen. Weder auf ihr hübsches Gesicht noch auf ihr schnuckeliges Dekolleté.»
«Was hast du herausgefunden?»
«Es gibt drei Quellen, laut denen Castorp in der Schweiz gesehen wurde. Der Blitz , der Spiegel und die Morgenpost haben das gemeldet.»
«Namen?»
«Du willst es wohl genau wissen.»
«Natürlich.»
«Ich melde mich.»
Nachdem Vincent das Gespräch beendet hatte, begann die Weckfunktion zu piepsen. In dreißig Minuten sollte er den Kripochef treffen. Vincent stellte sich unter die Dusche, rasierte sich und zog sich an. Er wischte die Schuhe blank, bis sie glänzten.
Im Treppenhaus erinnerte er sich an Engels Wortlaut. Er lief zurück und wühlte in dem Stoffbeutel, den er von zu Hause mitbracht hatte.
Die Krawatte – Vincent trat vor den Spiegel im Flur und band sie sich hastig um.
30
Kameras, Blitzlichtgewitter – Vincent fühlte sich seltsam leicht, weil es nicht ihm galt. Er war froh, mit dem Kripochef weiter hinten im Publikum zu stehen.
Benedikt Engel trug seinen schwarzen Anzug mit weißem Einstecktuch und wirkte, als sei er einer Modeanzeige entstiegen. Neben ihm kam sich Vincent wie ein Penner vor. Das Sakko, das er seit Tagen trug, war verknautscht, und der Schlips riss es nicht raus – er passte farblich nicht.
Vorne hörte Hartmut Osterkamp nicht auf zu strahlen, als er einem dicken Herrn mit weißem Haar und schlechten Zähnen die riesige Attrappe eines Schecks in die Hände drückte. Der Weißhaarige machte abseits des Mikrophons eine Bemerkung, die Vincent nicht verstand.
Gelächter, Applaus.
Tische mit Architekturmodellen unter Glas säumten die Wände des großen Raums – Einkaufszentren, die Osterkamps Firma in ganz Europa errichtete oder plante. Das Transparent an der Stirnseite trug den bekannten Slogan: Die Zukunft beginnt jetzt .
Junge Leute in langen weißen Schürzen schoben sich durch die Menge und balancierten Tabletts mit Getränken. Vincent schnappte sich ein Glas Orangensaft und versuchte, Osterkamps Ansprache zu verdauen.
Die Summe auf dem Scheck hatte der Bauunternehmer
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