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Schwarzlicht (German Edition)

Schwarzlicht (German Edition)

Titel: Schwarzlicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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Blätter. Die Andeutung der Oppositionsführerin schoss ihm durch den Kopf: Meine Mitarbeiter sagen mir, dass die Presse noch einiges in petto hat .
    Die Schlagzeile der Boulevardzeitung lief über die gesamte Breite der Titelseite, die Lettern fast eine Handbreit hoch.
    Walter Castorp ermordet!
    Vincent schlug das Blatt auf. Die komplette Seite drei war dem Fall gewidmet. Saskia rückte näher, um mitzulesen. Das Foto zeigte Osterkamps Bürohaus im Hafenviertel. Ein Pfeil wies auf die obersten Fenster: Walter Castorps letztes Domizil: Luxus pur samt Pool und Sauna in der zehnten Etage, spendiert vom befreundeten Immobilienkönig .
    Saskia schmollte. «Also hast du auch die Konkurrenz informiert.»
    «Nein, das überrascht mich jetzt.»
    Vincent hätte gern gewusst, ob einer seiner Leute geplaudert hatte. Am ehesten traute er es Felix May zu, der die Aktenführung nur widerwillig übernommen hatte. Oder Thilo Becker, der ihm vermutlich die Beförderung nicht gönnte.
    «Wie bist du darauf gekommen, Polizist zu werden?», fragte Saskia.
    «Weiß ich nicht mehr. Schon lange her. Vielleicht wollte ich auf der richtigen Seite stehen. Mein Opa hat immer Ordnung gepredigt. Nachdem er tot war, fiel mir ein, dass er damit nicht völlig unrecht hatte.»
    «Dein Opa?»
    «Weil es bei den Freunden meiner Mutter nicht so gut lief, bin ich dann bei den Großeltern aufgewachsen. Mein Opa war ein Cop durch und durch. Schon sein Onkel war ein Cop gewesen.»
    «Alter Cop-Adel.»
    «Sozusagen. Oder Büttel des Klassenfeindes, so sieht es meine Mutter.»
    Sie bezahlten, jeder für sich. Vincent spürte, wie müde er war. Vor dem Lokal steckte ihm Saskia ihr Kärtchen zu. Ihre Hand lag warm und fest in seiner, als sie sich verabschiedeten.
    Auf dem Heimweg wunderte sich Vincent darüber, wie sehr er sich der jungen Frau offenbart hatte. Fast hätte er noch mehr über seinen Großvater erzählt, über die Jugend in Uedesheim und über die Briefe, die er auf dem Dachboden gefunden hatte, als er das Haus nach dem Tod der Oma entrümpelt hatte. Die Briefe, die Max Dilling in seiner Ausstellung verwenden wollte.
    Die nächtliche Stadt lag ruhig, nur wenige Autos waren noch unterwegs. Vincent ließ das Fenster herunterfahren. Die Luft roch frischer als sonst. In der Ferne ein Martinshorn, Kollegen der Schutzpolizei. Dann ein schwaches Donnergrollen.

    Auch als Vincent endlich im Bett lag, ließ ihn die Erinnerung an den Großvater nicht los. Die Worte des Inspektionsleiters kamen ihm in den Sinn: Urgestein, alte Schule. Ihm war, als spüre er Opas Hand, die seinen Arm umklammerte. Bilder und Gefühle, die ihn nur allzu oft heimsuchten. Eine jahrzehntealte Begebenheit.
    Es war kurz nach seinem elften Geburtstag. Für die Ostertage hatte sich Verwandtschaft angesagt. Der Großvater nahm Vincent mit, um die Kaninchen zu töten, die gebraten werden sollten.
    «Es ist simpel», sagte er. «Ich bringe es dir bei.»
    Vincent sträubte sich, doch sein Opa zerrte ihn hinter das Haus, öffnete einen Stall und drückte ihm die Hinterläufe eines zappelnden Tiers in die Hand. Es war Foxi – Vincent hatte den Karnickeln Namen gegeben.
    Foxi war verrückt nach Löwenzahnblättern, den kleinen, zarten, die Vincent den Tieren gelegentlich durch den Maschendraht steckte.
    Opa reichte ihm den Stock, der an der Stalltür als Riegel diente. «Hinter die Ohren, Junge. Mach schon!»
    «Ich kann nicht!»
    Der Großvater schimpfte und redete auf ihn ein, bis Vincent gehorchte. Aber er führte den Stock nicht entschlossen genug und traf das Tier nur am Rücken. Es strampelte und fiepte.
    Vincent heulte.
    «Fester!»
    «Bitte nicht, bitte!»
    Gerhard Veih entriss ihm kurzerhand das Kaninchen, holte aus und schleuderte es gegen die Hauswand. Vincent hörte das Knacken des Schädels. Sein Opa zerrte das nächste Tier aus seinem Käfig und zwang Vincent zuzuschauen. Im Nu waren sämtliche Ställe leer.
    Im Gras lagen sechs Kadaver.
    Foxi, Billi, Django, Micki, Andi und Susi.
    Vincent fühlte, wie die Hose an seinen Beinen klebte, nass und dunkel. Ihm war schlecht, er zitterte.
    Der Großvater ignorierte seinen Zustand. «Siehst du, ist ganz einfach, Junge. Sind doch nur Tiere.»
    Vincent starrte auf den Blutfleck an der weißen Mauer. Dann rannte er auf sein Zimmer und verkroch sich schluchzend im Bett.
    Am Sonntag lobten die Gäste Omas Ragout. Opa erwähnte Vincents Skrupel, und die Erwachsenen belächelten die Idee, dass man Stallhasen zu lieb gewinnen könnte, um

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