Schwarzlicht (German Edition)
Vincent hören wollte.
«Ohne meine Fürsprache, Herr Veih, hätte Sie der Polizeipräsident bereits vom Fall Castorp entbunden und zurückgestuft. Das heißt, Sie schulden mir etwas.»
Vincent wartete.
«Haben wir uns verstanden?»
«Klar und deutlich.»
Engel holte einen Ordner aus dem Regal, löste die Heftung und entnahm drei Blätter, auf die Fotos gedruckt waren. «Was sehen Sie da?»
Vincent erstarrte, als er den Ort erkannte.
«Verschlägt es Ihnen die Sprache?»
«Ich sehe ein Haus und eine junge Frau.»
«Welches Haus?»
Tief einatmen. Langsam ausatmen. Ruhig bleiben. «Das meiner Mutter.»
«Richtig. Und wer ist diese Frau?»
Sie war dünn und groß, trug einen langen Schal zum Parka und klingelte an der Tür. Es war Winter. Die nächste Aufnahme zeigte sie mit seiner Mutter, wie sie sich im Hauseingang unterhielten. Brigitte hielt die Arme verschränkt. Keine Abwehrhaltung, sondern weil es kalt war, schätzte Vincent.
Auf dem dritten Bild verschwand die Jüngere nach drinnen, während Brigitte sich umsah, als wolle sie sichergehen, dass es keine Zeugen gab.
«Meine Mutter hat ihre Strafe längst abgesessen! Warum wird sie observiert?»
«Regen Sie sich ab. Ich dachte, Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter sei eher distanziert?»
«Das geht Sie nichts an.»
«Die junge Frau, Herr Veih.»
«Keine Ahnung. Sagen Sie’s mir.»
«Liliane Oppers. Na, fällt der Groschen?»
Und ob sich Vincent erinnerte: Lilly, die Dingendorff-Attentäterin – vor drei Monaten war ihr Foto durch die Medien gegangen. Jetzt erkannte Vincent das Gesicht wieder, ihm fielen die Schlagzeilen von damals ein.
Werbepraktikantin als Terrorschützin
Lilly O.: Ich wollte seinen Tod!
Lilly O.: Das Gesicht der vierten Generation?
Engel sammelte die Blätter wieder ein. «Drei Tage vor dem Anschlag auf einen der wichtigsten Bankenchefs Europas hat Liliane Oppers Ihre Mutter aufgesucht. Das ist hiermit bewiesen.»
«Was erwarten Sie von mir?»
«Die Aufnahmen stammen vom Landesamt für Verfassungsschutz. Leider haben wir sie erst heute ausgehändigt bekommen. Das Landeskriminalamt ermittelt jetzt gegen Ihre Mutter wegen Anstiftung und Beihilfe zum versuchten Mord. Unser Staatsschutzkommissariat ist involviert. Wir könnten Brigitte Veih vorladen, aber sie ist bekanntermaßen noch nie zu einer Aussage bereit gewesen. Nicht einmal während ihrer beiden Prozesse, als sie ein milderes Strafmaß hätte bekommen können.»
«Sie glauben doch nicht im Ernst …»
«Enttäuschen Sie mich nicht, Veih. Sie plaudern ein wenig mit Ihrer Mutter und formulieren anschließend eine Zeugenaussage aus dem Gedächtnis, mit der die Kollegen arbeiten können. Zu etwas muss es doch nutze sein, den Sohn einer verdammten Terroristin im Staatsdienst zu beschäftigen. Oder etwa nicht?»
Vincent wusste, was Brigitte an seiner Stelle dem Kripochef an den Kopf werfen würde.
«Was Sie verlangen, Herr Kriminaldirektor, verstößt gleich gegen mehrere Paragraphen der Strafprozessordnung.»
«Seit wann solidarisieren Sie sich mit Ihrer Mutter?»
«Ich liefere sie nicht ans Messer!» Er sprang auf und verließ mit großen Schritten den Raum.
43
Vincent war wütend. Auf Thann, auf Engel und vor allem auf seine Mutter. Was fiel ihr ein, sich mit einer durchgeknallten Chaotin einzulassen? Er klopfte an die Tür seines ehemaligen Dienstzimmers, öffnete, keiner da.
Das Stehpult war neben den Tisch gerückt, Kunstdrucke hingen an der Wand, zu bunt, zu kitschig. Der Hauch eines süßlichen Rasierwassers lag in der Luft. Wie sich ein Raum so gründlich ändern kann.
Auf dem Flur lief ihm Klaus Schranz über den Weg. Ein grellgelbes Hemd, Flecken von Tomatensauce auf der Brust.
«Willst du mal meine neue Krone sehen?» Schranz riss den Mund weit auf.
«Weißt du, wo Thilo steckt?»
Schranz schüttelte den Kopf.
«Dann übernimmst du das.» Vincent drückte ihm die dünne Akte in die Hand. Die DVD mit den Fernsehaufnahmen rutschte heraus, Schranz fing sie auf.
«Was ist das?»
«Amadeo Hunziker.»
«Ach du Scheiße. Ein Kollege hat Mist gebaut, und ich soll’s vertuschen?»
«Im Gegenteil. Der Papst probiert’s mit einer neuen Linie. Du sollst den Täter zur Hinrichtung führen.»
«Ach du Scheiße!»
Damit habe ich nur noch vier Kollegen für Castorp, dachte Vincent.
«Und wer hilft mir dabei?», wollte Schranz wissen.
«Das schaffst du alleine.»
«Ach du große …»
Vincent ließ den MK-Leiter stehen, klopfte an die Tür zu Dominiks
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