- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
setzen!«
Stephans faltete sein Pad zusammen. »Dann wäre ich ausnahmsweise einmal pünktlich zu Hause.«
Westphal zog eine Hand aus der Tasche und fuhr sich behutsam über sein Gesicht. Es war keine berechnende Geste, um Stephans ein schlechtes Gewissen zu bereiten, sondern die Bewegung eines alten Mannes, dem für kurze Zeit anzusehen war, wie viel Verantwortung auf seinen Schultern ruhte und welche Kraft sie ihn kostete. Stephans fiel auf, wie wenig er über Joseph Westphal wusste. Seit drei Jahren lenkte dieser Mann die Geschicke des ganzen Landes, aber niemand stellte je die Frage, wie es in seinem Innern aussah. Niemand außer Meph.
»Sie haben recht«, sagte Westphal schließlich. »Ich brauche Sie, Stephans. Es war ein Fehler, Ihnen nicht zu vertrauen, und ich bin bereit, ihn wiedergutzumachen. Wenn ich Ihnen Zugriff auf die Ephraim-Dateien gebe, werden Sie dann tun, was ich von Ihnen verlange?«
Nach kurzem Zögern nickte Stephans. »Wenn Sie Ihr Wort halten, halte ich meins.«
»Gut.« Der Minister erhob sich. »Ich erledige das noch heute. Sie erhalten die Freigabe im Laufe des morgigen Tages.«
»Freigabe? Heißt das, ich kann mit meinem Pad einfach so auf die Dateien zugreifen?«
»Wie denn sonst?«
»Sie haben natürlich recht.« Stephans verwarf seine Vorstellung von einem geheimen Stockwerk tief unter der Erde, in dem die Ephraim-Dateien auf einer lokalen Festplatte in einem Computer ohne Netzzugang aufbewahrt wurden.
Westphal fasste ihn scharf ins Auge. »Kommissar Stephans, ich möchte Sie daran erinnern, dass es hier um Dokumente geht, die unter der höchsten Geheimhaltungsstufe stehen. Sie können sie nur einsehen, solange Sie sich innerhalb dieses Gebäudes im Blickfeld einer Kamera aufhalten. Jeder Ausdruck, jeder Kopiervorgang, selbst Passagen, die Sie abtippen, werden genauestens protokolliert. Beim ersten Anzeichen, dass Sie Informationen veruntreuen, bekommen Sie das Schwarzspeichergesetz in seiner ganzen Härte zu spüren. Das gilt auch für den Versuch, irgendwelche Papiere hier herauszuschmuggeln. Haben Sie das verstanden?«
Stephans Blick glitt hinauf zu der Kamera, die über der Innenseite seiner Tür angebracht war. »Klar und deutlich.«
Als Westphal gegangen war, dachte der Kommissar einen Moment lang nach. Dann machte er sein Pad wieder auf und rief Conny an. »Ich rufe nur an, um dir zu sagen, dass ich es mir überlegt habe. Von mir aus kann Tim auf diese virtuelle Schule gehen.«
»Das ist ja toll!«, rief Conny überrascht. »Was hat dich umgestimmt?«
»Sagen wir einfach, jemand hat mich davon überzeugt, dass mit der Hand zu schreiben doch nicht so wichtig ist, wie ich immer denke.«
Als das Gespräch zu Ende war, krempelte er den Ärmel hoch, nahm einen Stift zur Hand und machte sich wieder an die Arbeit.
// / 15
»Du glaubst nicht, was gerade …«
Meph blieb mit offenem Mund in der Tür stehen, die Klinke noch in der Hand. Wie jeder männliche Internetnutzer hatte er schon eine Menge nackter Frauen gesehen, doch wann immer die Frau tatsächlich vor ihm stand, bemerkte er wieder den Unterschied; denselben Unterschied, der eine echte Wohnung von einem Poddesign trennte. Rebekka rasierte sich nicht überall, und ohne digitale Retusche stachen jede Narbe und jeder Leberfleck ins Auge. Doch der Mangel an Perfektion verlieh ihr etwas anderes, das sie umso interessanter erscheinen ließ. Einmal hatte Meph eine echte Schallplatte in den Händen gehalten, und obwohl er genau gewusst hatte, wie schlecht ihre Tonqualität im Vergleich zu der einer Musikdatei war, hatte ihn die schwarze Scheibe mit ihren Macken und dem Geruch fasziniert.
Rebekka riss ihr Handtuch vom Bett und hielt es sich vor den Körper. »Raus hier!«, zischte sie, und wenn ihre Blicke Neuroviren gewesen wären, hätte Mephs Kopf in diesem Moment Funken geschlagen. Er trat rückwärts in den Flur zurück und dachte darüber nach, an was Rebekkas Anblick ihn erinnerte. Dann schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu. Ein Rumpeln verriet, dass sie ein Möbelstück davorschob.
Als er Rebekka das nächste Mal zu Gesicht bekam, hockte er auf seinem Bett und klickte sich durch die jüngsten Diskussionsbeiträge auf Running Meph . Genaugenommen war sein Bett ein olivgrüner Schlafsack, den Meph auf dem Boden ihres Arbeitszimmers ausgebreitet hatte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er weiter auf der Wohnzimmercouch geschlafen, aber Rebekka hatte darauf bestanden, dass er sein eigenes Zimmer
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