Schwarzwaelder Dorfgeschichten
den Ausspruch: »er kann's fast gar wie der alt' Lehrer.« Er ging nun zu diesem und bot ihm das Orgelspiel für die Mittagskirche an.
Der alte Mann lachte ganz überselig und sagte endlich, wie immer in schnell abgestoßenen Sätzen sprechend: »Ja, sie können was lernen die jungen Leut', wenn sie wollen. Ich war dritthalb Jahr Unterorganist im Münster in Freiburg, he he. Ja, der früher' hochmüthig' Professor hat mich aus der Kirch' vertrieben, ich bin ein ganz Jahr nicht 'neingegangen, ich hab' dem sein Gequicks nicht hören können, und später bin ich nur zum Amt und zur Predigt: beim Singen hab' ich davonlaufen müssen.«
Der alte Lehrer spielte nun Mittags die Orgel, aber er machte mit dem heiligen Instrumente so lustige Sprünge, daß der junge Mann oft den Kopf schüttelte; auf dem Antlitze aller anderen Anwesenden aber leuchtete zufriedene Heiterkeit.
Die Freundlichkeit gegen den alten Lehrer erregte dem neuen vieles Lob; darüber aber, daß er die Gemeinderäthe am Werktage besucht hatte, da sie doch nicht zu Hause waren, ward ihm eben so vieler Tadel. Von Beidem kam ihm nichts zu Ohren.
Montags begann die Schule. Der Pfarrer, ein freundlicher und edeldenkender Mann, führte den neuen Lehrer mit einer gehaltvollen Rede, im Beisein des ganzen Gemeinderaths und Bürgerausschusses, in seinen Wirkungskreis ein.
Von dem Tage an, da die Schule begonnen hatte, aß der Lehrer nicht mehr im Wirthshause; das laute Leben und die Gespräche dort störten ihn, er wollte, nachdem er die Schaar der Kinder entlassen, ganz allein sein. Ueberhaupt zog er sich ganz in sich zurück, er verrichtete sein Amt gewissenhaft, pflog aber mit Niemand Umgang; nur bisweilen ging er mit dem jüdischen Lehrer oder mit dem alten spazieren. Ueber den Charakter des letzteren war er bald einig, der Geistesrichtung des ersteren aber, in der die staatlichen und sittlichen Angelegenheiten seiner Glaubensverwandten im Vordergrunde standen, konnte er keine entsprechende Theilnahme widmen. Mit den übrigen Leuten im Orte, selbst mit dem Buchmaier, stand der Lehrer noch so fremd wie am Tage seiner Ankunft. Er ging nie in's Wirthshaus und gesellte sich nie zu den abendlichen Kreisen, die sich vor den Häusern bildeten. Waren die Schulstunden zu Ende, schweifte er einsam durch Wald und Feld, zeichnete oder schrieb in sein Taschenbuch, und wenn es Nacht war, musizirte oder las er.
Da wir die Zeichnungen nicht vorlegen und die Musik nicht wieder aufspielen können, so mögen hier die Taschenbuchbemerkungen eine Stelle finden, unter dem Titel, den ihnen der Lehrer selbst gab:
Feldweisheit
von
Adolph Lederer.
(Im Grase liegend.) Bei allen Wiederbelebungen, in allem neuen Dasein sind Rückständigkeiten mitten darunter gemischt. Wenn man das Wiesengrün des Frühlings genau betrachtet, liegt viel verdorrtes überjähriges Gras zwischen und unter dem grünenden; es muß verfaulen und zum Dünger für das neue Leben werden. Da schreien dann die Thoren: es ist kein Frühling, es kann auch keiner kommen, seht hier die dürren Halme! Ist es nicht auch im ganzen Leben des Geistes so? ... ist der alte Schullehrer nicht auch so ein Stück dürres Gras? ...
Mir ist die ganze Natur ein Sinnbild des Geistes; ich meine immer, sie sei nur die Larve, hinter der das Geistesantlitz steckt. Die armen Bauern! sie leben mitten in der freiesten Natur wie in einem todten Hause, sie sehen in all den Feldern und Wäldern nur den Ertrag, die Zahl der Garben, die Säcke Kartoffeln, die Klafter Holz; ich aber schlürfe den Geistesduft der Schönheit, der darüber schwebt. Ich will hinwegsehen über die Menschen, die da mitten unter diesem glanzvollen Leben lichtlos einherwandeln, ich will mich erheben über all das niedere klägliche Treiben, und wie die Biene hier aus der unanfaßbaren Distel Honig saugt, die dem Esel bloß zum derben Futter wird, so will ich den Honigseim des Geistes aus Allem ziehen. Steh' mir bei, du ewiger Geist und laß mich nicht denen gleich werden, die an der Scholle haften, bis die Scholle über ihren Sarg rollt; und ihr! ihr großen Geister meiner Nation, deren Werke mich hieher begleitet, stärket mich und laßt mich stets zu euren Füßen sitzen.
Jeder Acker hat seine Geschichte. Wüßte man die Wandlungen, die ihn aus der einen Hand in die andere gebracht, die Schicksale und Gefühle derer, die ihn bearbeitet, es wäre die Geschichte des Menschengeschlechts: sowie seine geologische Bildung, tief hinab bis zum
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