Schwarzwaelder Dorfgeschichten
erscholl die allgemeine Antwort, und von diesem Abende an blieb der Lehrer von dem Liede verschont, denn man wußte, daß es ihn nicht mehr ärgere.
Von dieser Zeit an nahm sich indeß der Lehrer vor, freundlicher und gesprächsamer gegen die Leute zu fein; er erkannte, daß er nicht nur in der Schule, sondern auch außer derselben Pflichten gegen die Menschen habe, mit denen er gemeinsam lebte.
Die Ausführung dieses Vorsatzes wurde ihm bald treulich belohnt.
Eines Sonntags nach der Mittagskirche ging er durch die am Hügel gelegene Straße »Bruck« genannt. Da sah er eine alte Frau vor einem Hause sitzen, sie hatte die Hände ineinander gelegt und ihr Kopf wackelte; er sagte freundlich:
»Guten Tag! Nicht wahr, der Sonnenschein thut Ihnen gut?«
»Dank schön, lieber Mensch,« erwiderte die Alte, oft mit dem Kopf nickend.
Der Lehrer blieb stehen.
»Sie haben schon manchen Sommer erlebt,« sagte er.
»Acht und siebenzig, es ist ein' schöne Zeit, siebzig Jahr ein Menschenleben heißt es in der Schrift. Es ist mir oft, wie wenn mich der Tod vergessen hätt'; nun unser lieber Herrgott wird mich schon holen, wenn's Zeit ist, er weiß wohl, ich verlauf' ihm nicht.«
»Sie können aber doch noch immer gut fort?«
»Nimmer recht – der Krampf – aber das thut gut,« sie zeigte auf die grauen Fädchen, die sie um die beiden Arme gebunden hatte, an denen die Venen geschwollen waren.
»Was ist denn das?«
»Ei, das hat eine reine Jungfrau gesponnen, des Morgens nüchtern mit ihrem Munde und hat drei Vaterunser dabei gebetet. Wenn man das unbeschrieen um den Arm thut und dabei neunmal das Gebet in unsers Herrgotts heilige drei Nägel sagt, so stillt's den Krampf, ich muß so viel husten,« sagte sie wie zur Entschuldigung ihrer oft unterbrochenen Rede auf ihre Brust deutend.
»Wer hat denn die Fäden gesponnen?« fragte der Lehrer.
»Ei mein' Hedwig, mein Enkele, kennet Ihr denn die nicht? Wer sind Ihr denn?«
»Ich bin der neue Lehrer.«
»Und da kennet Ihr mein' Hedwig nicht? Sie ist ja eine von den Kirchensängerinnen. Sag' mir nur auch ein Mensch, was das für eine Welt ist, da kennt der Lehrer die Kirchensängerinnen nicht mehr. Ich bin auch Kirchensängerin gewesen, man hört mir's jetzt nimmer an mit meinem Husten; ich bin ein sauber's Mädle gewesen, ja, ich hab' mich dürfen sehen lassen, und alle Jahre war das Jahressen, da war der Pfarrer und der Schulmeister dabei; o! wie sind da g'spässige Lieder gesungen worden, der bayrische Himmel und so Sachen, das ist jetzt auch nimmer, ja die alt' Welt ist eben aus und vorbei.«
»Sie haben wohl Ihr Enkelchen sehr lieb?«
»Es ist ja das jüngst'. O! mein Hedwig die ist noch eine von der alten Welt, die hebt mich und legt mich und da ist kein unschön Wörtle; ich wollt's ihr gunnen, daß ich bald sterben thät, sie muß so viel daheim bleiben wegen meiner, und wenn ich gestorben bin, will ich auch recht für sie beten im Himmel.«
»Sie beten wohl recht viel?«
»Ja, was kann ich Besseres thun? Mit dem Schaffen ist es aus. Ich kann auch ein Gebet, das die Seelen vom Mond gerad in den Himmel bringt und daß die Seelen gar nicht in's Fegfeuer brauchen. Die heilig Mutter Gottes hat einmal zu Gott Vater gesagt: Lieber Mann, ich kann das nimmer hören, wie die armen Seelen im Fegfeuer schreien und heulen, es geht mir durch Mark und Bein, und da hat er gesagt: Nu meinetwegen, du darfst ihnen helfen. Und da ist in dem Tyrol einem Mann, der acht Kinder gehabt hat, sein' Frau gestorben, und da hat er eben ganz schrecklich gejammert wie man sie auf den Kirchhof tragen hat, und da ist alle Morgen die Mutter Gottes kommen, hat die Kinder gestrehlt und gewaschen und die Betten gemacht, und da hat der Mann lang nicht recht gemerkt, wer das thut, und da ist er endlich zum Pfarrer gangen, und da ist der ganz früh mit dem Heilig kommen, und da hat der gesehen wie die Mutter Gottes zum Fenster n'aus ist, schneeweiß, und da ist das Gebet auf der Simse gelegen, und da hat man da ein' Kirch' hingebaut.«
»Dieses Gebet kennen Sie?« fragte der Lehrer, sich neben der Alten auf die Bank setzend.
»Ihr müsset nicht so Sie sagen,« begann die Alte vertraulicher werdend, »das ist nicht der Brauch.«
»Habt Ihr noch mehr Enkel?« fragte der Lehrer.
»Noch fünf und auch vierzehn Urenkel, und von meinem Constantin krieg' ich auch bald eins. Kennet Ihr meinen Constantin nicht? Der hat auch gestudirt, er ist ein Wilder, aber ich hab' nichts über ihn zu klagen, gegen
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