Schwarzwaelder Dorfgeschichten
Hand.«
»Warum? Ist Jemand darin abgezeichnet, das ich nicht sehen darf?«
»Kann sein.«
Lorle zog ihre Hand von dem Skizzenbuche zurück.
Auf dem Spazirgange, den die Freunde nun gemeinsam machten, schüttete der Collaborator sein ganzes Herz aus; Reinhard verwies ihm sein Verfahren und er erwiderte:
»Du bist zu viel Künstler, um dir die Noth und das Elend vor Augen halten zu können; du suchst und hältst nur das Schöne.«
»Und will's auch so halten, bis ich einmal durch ein Wunder ausersehen werde, die kranke Menschheit zu operiren.«
»Ich kann's oft nicht fassen,« fuhr der Collaborator wieder auf, »wie ich nur eine Stunde heiter und glücklich sein kann, da ich weiß, daß in dieser Stunde Zahllose, berechtigt zum Genusse des Daseins wie ich, ihr Leben verfluchen und bejammern, weil sie am Erbärmlichsten, an Speise und Trank Noth leiden.«
Die Beiden gingen geraume Zeit still den Bergwald hinan; ein alter Mann, der ein Bündel dürres Holz auf dem Rücken trug, begegnete ihnen, der Collaborator stand still und sah ihm nach, dann sagte er: »Der Instinct, was wir mit dem Untermenschlichen gemein haben, das hilft uns noch am meisten. Wir müßten ohnedies vergehen im Kampf gegen die Welt, wohlweislich aber ist's von Gott in alle Wesen und in den Menschen besonders gesetzt. Hast du beobachtet, wie der Alte vorgebeugt seine Last trug? Er kennt die Organisation seines Körpers nicht, weiß nichts von Schwerpunkt und Schwerlinie, und doch trägt er seine Last ganz vollkommen mit den Gesetzen der Physik übereinstimmend – vielleicht trägt auch die Menschheit ihre Last auf naturtriebliche Weise, die wir noch nicht als Gesetz erkennen.«
Auf diese Nothbank des Vielleicht suchte der Collaborator seine quälende Sorge abzusetzen; es gelang ihm nicht, aber er konnte doch verschnaufen, doch so viel freien Athem schöpfen, um neuen Eindrücken offen zu sein. Reinhard traf das rechte Mittel, um den Freund zu erlösen, er stimmte jetzt mitten im Walde das Weber'sche »Riraro! der Sommer der ist do« an, der Collaborator begleitete ihn schnell im kräftigen Baß; sie wiederholten die Strophen mehrmals, und so ein Lied thut Wunder auf eine betrübte Seele, die sich nach Freiheit sehnt, es leiht dem Geiste Schwingen, daß er mit den Tönen frei über die Welt hinschwebt.
»Es giebt doch keinen festeren Halt, keine sicherere Freude als die Natur;« sagte der Collaborator wiederum, »selbst die Liebe, glaube ich, kann der namenlosen Wonneseligkeit nicht gleichen, die wir in der Natur empfinden. Der Natur Dank, daß sie stumm und gemessen fortlebt, uns nur sieht und nur zu uns spricht, wenn der Geist Natur geworden. Denke dir, wir könnten die ganze Natur hineinreißen in den grausen Wirrwarr unserer Philosopheme, Theorien und Zwiespälte, sie unterbräche durch dieselben auch ihr Dasein, experimentirte mit in unseren Ideen – wie unglücklich müßten wir werden! Nein, die Natur ist stumm und von ewigen Gesetzen gebunden. Es mag eine tiefe Deutung darin gefunden werden, daß nach der Bibelurkunde Gott die ganze Welt durch das Wort, aber ohne ausgesprochenen Willen schuf: erst als er den Menschen formte, sprach er: wir wollen einen Menschen schaffen. Die Natur spricht nicht und will nicht, wir aber sprechen und wollen, wir werden uns selbst zu Gegensatz und Kampf.«
»Lustig! Und wenn der Bettelsack an der Wand verzweifelt,« rief Reinhard endlich dazwischen, schnalzte mit den Fingern und begann zu singen:
»Jetzt kauf i mir fünf Leitern
Bind's aneinander auf,
Und wann's mich unt' nimer g'freut
Steig i oben hinauf.
Hiudidäh u.s.w.
Bin kein Unterländer,
Bin kein Oberländer,
Bin ein lebfrischer Bue,
Wo's mi freut, kehr i zue.
Drei 'rüber, drei 'nüber,
Drei Federn aufm Huet;
Sind unser drei Brüder,
Thut keiner kein guet.
Sind unser drei Brüder
Und i bin der klenst,
Hat e Jeder ein Mädle
Und i han die schönst.
E schön's Häusle, e schön's Häusle,
E schön's, e schön's Bett,
Und e schön's, e schön's Bürschle
Sust heirath i net.
Wenn i nunz ein Haus han
Han i doch e schöne Ma'n,
Dreih ihn 'rum und dreih ihn 'num,
Schau ihn alleweil an.
Mein Schatz, der heißt Peter,
Ist e lustiger Bue,
Und i bin sein Schätzle,
Bin au lusti gnue.«
Mit solchen »G'sätzle«, die Reinhard schockweise kannte, überschüttete er seinen Freund; so oft dieser zu grübeln beginnen wollte, sang er ein neues und der Collaborator konnte nicht umhin, die zweite
Weitere Kostenlose Bücher