Schwarzwaelder Dorfgeschichten
ist Musik in der Nacht! Das Licht ist ein Nebenbuhler des Gesangs, es liebt ihn nicht, die dunkle Nacht aber wiegt ihn sanft auf ihren weichen Armen. Du verstehst's mit dem Volke umzugehen, man sollte ihm die neuen Offenbarungen im Gesange mittheilen, da ist Alles wieder eins, die erste und letzte Bildungsstufe ist im Gesange wieder geeint.«
Da Reinhard nicht antwortete, fuhr der Redner fort: »Du hast mir diesen Abend ein Gesetz von der Völkerwanderung der Lieder, ich wollte sagen, von der Wanderung der Volkslieder concret erklärt. Man hat so oft Volkslieder von ganz localer Färbung an fremden Orten gefunden. Menschen wie du sind die Schmetterlinge, die den befruchtenden Blumenstaub von der einen Blume zur andern bringen. Wir hatten heute Alles: Ein Müllerstöchterlein, ein Wirthstöchterlein, ein Maler und Musikant, es fehlte nur noch ein Jäger, dann hätten wir die vollständige Romantik.«
»Laß die Romantik, du bist heut schon übel damit gefahren.«
»Du solltest unsere heutige Versammlung unter dem Nußbaum malen.«
»Du hast mir versprochen, mich nicht aufmerksam zu machen.«
»Ja, verzeih', gut Nacht.«
Reinhard richtete noch bis spät in der Nacht seine Werkstätte ein, er hatte etwas im Sinne und wollte am andern Morgen frisch an die Arbeit.
Fußnoten
1 Langsam, ruhig.
2 Handtuch.
3 Aber = frühlingshell, sonnig.
Bergaus und bergein.
Nachdem der Collaborator am andern Morgen die unterbrochene Aufzeichnung der Sagen vollendet hatte, suchte er seinen Freund auf und fand denselben vor einer fast fertigen Farbenskizze: ein Tyroler, der oberschwäbischen Burschen und Mädchen ein neues Lied vorsingt.
»Da hast du ja mein Gesetz verbildlicht,« bemerkte der Collaborator, »das Bild gewinnt eine tiefe Tendenz.«
»Bleib' mir vom Hals mit deiner Tendenz,« entgegnete der Maler, »die Menschen haben den Teufel zur Welt hinausgejagt, aber den Schwanz haben sie ihm ausgerissen und der heißt Tendenz. Wie in dem Märchen von Mörike legen sie ihn als Merkzeichen in's Buch, in Alles. Ich möchte einmal Etwas machen, bei dem sie gar keine Tendenz herausquälen könnten, wo sie blos sagen müßten: das Ding ist schön.«
»Du hast Recht, das Symbolische und Typische, was jedes Kunstwerk in sich hat, muß sich auf naturwüchsige Weise gestalten.«
»Naturwüchsig? Ein schönes Wort; warum sagst du nicht naturwuchsig oder naturwachsig?«
»Spotte nur, meine Behauptung steht doch fest: in jedem Kunstwerke ist Symbolisches und Typisches; die Situation, das Ereigniß ist für sich da, bedarf keiner äußern Ideenstütze, ist selbständig; in der tieferen Betrachtung aber muß sich ein sinnbildlicher oder vorbildlicher Gedanke darin offenbaren, das Concrete wird an sich ein Allgemeines. Das ist nicht Tendenz, wo man in die magere Milch Butter gießt, um glauben zu machen, die Kuh gebe von selbst Milch mit solchen Fettaugen, das Gedankliche ist vielmehr als Saft und Kraft in jedes Atom vertrieben. Dein Bild hier kann ganz vortrefflich werden, nur ist die Frage, ob das Musikalische, das
punctum saliens
gegenständlich werden kann für die Malerei. Du mußt Lessing's Laokoon studiren, dort sind die Grenzen der Kunst haarscharf gezogen. Ich sehe wohl, daß der Tyroler mit der Zither auf dem Schooße, wie er mit der einen Hand die Finger schnalzt, wie er den Mund öffnet, ein lustiges Lied singt; du hast in der Gruppe zwischen dem Burschen und dem Mädchen, die sich hinter dem rücken des Alten zuwinken und hier zwischen den Hand in Hand stehenden, staunenden beiden Mädchen gezeigt, daß eine Liebesstrophe gesungen wird, ob aber –«
»Du wolltest ja heute das Clavier stimmen,« unterbrach ihn Reinhard.
»Das will ich. Hier an dem Clavier habe ich auch wieder ein Symbol des deutschen Volksgemüthes: alle Saiten sind noch da, keine braucht frisch aufgezogen zu werden, aber fast alle sind von rohen, ungeschickten Händen verstimmt, nur einige tiefe Töne sind noch rein. Auch das ist bezeichnend, daß ich mir jetzt vom Schulmeister den Stimmhammer holen muß. Ich gehe nun.«
»Grüß' mir den Schulmeister,« schloß Reinhard und schaute eine Weile nach der Thür, die er hinter dem Störenfried verschlossen hatte. Zur Staffelei gewendet, versank er in Gedanken; er hatte so rüstig und zuversichtlich begonnen und jetzt war's ihm doch, als ob das Musikalische nicht wohl zu malen sei. Er erinnerte sich nun, daß er ein Bild für die neue Kirche versprochen, und ging nach dem neuen Bau, um
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