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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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aber der Collaborator kam nie dazu, den Text zu schreiben. Wenn Reinhard nicht umhin konnte, dennoch eine der früheren Gesellschaften zu besuchen, so machte er sich bald wieder davon und kam im Ballanzuge in das raucherfüllte Bierstübchen, wo er bis spät in die Nacht sitzen blieb und dann oft noch stundenlang mit dem Collaborator durch die menschenleeren Straßen wandelte.
    Mit dem Prinzen stand Reinhard noch im alten Verhältnisse, er fehlte nie in den kleinen Cirkeln, die der junge Fürst um sich versammelte; aber auch hier fand er Mißbehagen genug.
    »Es ist erbärmlich,« klagte er häufig dem Collaborator auf ihren nächtlichen Gängen: »ich kann mich oft vor Ingrimm nicht halten, wenn ich sehe, welche Bedientenhaftigkeit gegen Ausländer an unseren Höfen herrscht. Wir Eingebornen, wir Deutschen, müssen Adelige oder ausnahmsweise Bürgerliche von einer Auszeichnung des Talents sein, um bei Hof Eingang zu finden; jeder englische Stiefelputzer aber ist hoffähig, weil er eine weiße Halsbinde trägt und englisch spricht. Man muß froh sein, wenn nicht dem Fremden zulieb Alles den ganzen Abend Englisch quatscht. Diese Travellers haben Recht, wenn sie ganz Deutschland wie einen einzigen Lohnbedienten ansehen; beginnen ja die Höfe mit Schändung der Nationalehre.«
    Der Collaborator erwiderte: »Laß doch die da drüben auf ihrem drapirten, wurmstichigen Gerüste treiben was sie wollen, die Weltgeschichte kümmert sich nicht mehr darum; sie legt neue Bahnen und die besuchtesten Straßen werden leer stehen. Ich bin kein Freund der Engländer, ich halte sie für die gottloseste Nation auf Erden, trotz und in Folge ihres steifen Kirchenthums. Jeder Engländer hat aber das Recht, sich bei uns als Adeliger zu gebärden, die Geschichte seiner Nation ist die Geschichte seiner Ahnen, die Größe seiner Nation ist die Größe jedes Einzelnen, und wir, wir sind Privatmenschen, mit und ohne Familienwappen.«
    In solchen Gesprächen wandelten die Freunde oft bis tief in die Nacht hinein; die Nachtwächter sahen staunend die sonderbaren Schwärmer.
    Immer vereinsamter ward Lorle; eine unnennbare Sehnsucht, ein Heimweh regte sich in ihr, aber sie kämpfte, es nicht aufkommen zu lassen. Oft gedachte sie jener Stunde nach der Hochzeit, wo sie Gott gelobet hatte, Alles freudig über sich zu nehmen, da sie so unendlich beglückt war. Jetzt fühlte sie, wie schwer es ist, um eine selige Stunde ein langes banges Leben hinzukümmern; es gebrach ihr an Kraft zu solchem Opfer, weil sie fürchtete, daß sie den Andern, dem sie es brachte, vielleicht nicht damit beglücke. Sie geizte nach einem freundlichen Worte Reinhard's, ein kleines Lob von ihm erhob und erkräftigte sie wiederum; sie bedurfte einer Anerkennung, seiner vor Allen. Wie Reinhard die Sicherheit des Selbstbewußtseins in seinem künstlerischen Lebensberuf, so schien sie solche in ihrem Charakter verlieren zu wollen; sie horchte hin nach anerkennendem Zuruf von außen. Die Verstörtheit Reinhard's steigerte noch ihr Wehe, er stand ihr so hoch, so erhaben über allen Menschen, daß sie der ganzen Welt zürnte, die ihm so viel zu schaffen machte und ihn quälte. In ihrer Fürsorge für ihn bekundete sich eine solche Unterthänigkeit, solch' ein krankenwärterisches Nachgeben, daß er sie oft mit stiller Wehmuth betrachtete.
    Warum konnte er nicht glücklich sein?
    Wie oft müht und peinigt man sich im kleinen und vereinzelten Leben und sucht ein Nothwendiges mit quälender Angst, und am Ende liegt es bei ruhigem Blicke vor uns offen und frei; es ist als ob ein Dämon uns früher geblendet und verwirrt hätte. Geht's wohl auch im großen, ganzen Leben so?
    Reinhard versuchte es, Leopoldine und seine Frau einander zu nähern, aber diese versicherte, daß sie gern allein, daß es ihr so am wohlsten sei. Tage und Wochen lang saß Lorle am Fenster bei dem Vogelbauer und strickte Strümpfe, deren Arbeitserlös sie den Ortsarmen in der Heimath schickte.
    Zur Fastnachtszeit gewann sie eine neue, schwere, für sie aber doch erhebungsvolle Thätigkeit. Die Magd erzählte, daß in dem Stockwerk unter ihnen die Frau des Kanzleiregistrators, eine Mutter von fünf Kindern, an der Auszehrung darniederliege und daß Jammer und Noth in der Familie herrsche. Lorle kannte die Leute nicht, sie stand nur einen Augenblick still am Fenster, mit einem Entschluß kämpfend; dann ging sie hinab, klingelte und sagte, sie müsse zur Frau Registrator; dieser bot sie nun Hülfe und Beistand an. Die

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