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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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Kranke hob die durchscheinigen Hände auf und faltete sie mit innigem Dank. Lorle verweilte nicht lange beim Reden, sondern ging alsbald durch Küche und Kammer und ordnete Alles. Von nun an war sie ihre ganze freie Zeit, und das war der größte Theil des Tages, bei der Kranken und ihren Kindern, die mit Liebe an ihr hingen; sie waltete überall als wäre sie die Schwester der Mutter. Die Kranke war eine Frau voll ruhigen schönen Verständnisses für das Wesen Lorle's, da sie dieselbe nicht zuerst durch Reden und Unterhalten, sondern frischweg durch die That kennen lernte; ohne Ahnung ihrer baldigen Auflösung sagte sie immer, wie glücklich sie sei, eine solche Freundin gefunden zu haben und wie schön sie nach ihrer Genesung mit einander leben wollten. Lorle entnahm hieraus einen ganz besondern Trost: eine Stadtfrau hatte sie doch auch verstanden und ihr solche Liebe zugewendet.
    Unterdeß gewann die Stimmung Reinhard's eine immer trübere Färbung. Er hatte seit den Universitätsjahren nie so lange mit dem Collaborator gelebt als jetzt; der ätzende Geist des Gelehrten, der immer schärfer wurde, übte einen störenden und verwirrenden Einfluß auf das künstlerische Dichten und Trachten Reinhard's. Im Glück und in der Freiheit wäre er stark genug gewesen, alle Störung von sich abzuschütteln, nun aber bemächtigte sich seiner oft eine nie dagewesene Grämlichkeit und Weichheit, so daß er waffenlos erschien. Wollte er Etwas beginnen oder ausführen, sah er eitel Mangel und Halbheit darin.
    Der Trost des Collaborators war ein trauriger, denn er bestand darin, daß in unseren Tagen Alles was gesundes Leben in sich hat, nur negativ sein könne, daß es darum keine Kunst geben könne, bis eine neue positive Weltordnung erobert sei; was sich heute noch zur Kunst gestalten könne, bestände nur noch in Reminiscenzen der vergangenen und noch nicht völlig aufgezehrten positiven Welt. Diese Ansichten verfocht er mit unläugbarem Scharfsinn, und so sehr sich auch Reinhard dagegen stemmte, sie kamen ihm doch in die Quere bei mancherlei neuen Entwürfen; er wendete sich daher wieder ganz der Landschaft zu – das Naturleben blieb doch stetig und fest – innerlich aber trauerte er dennoch um das verlassene Menschenleben. Dazu kam, daß eben dieses ihn von anderer Seite vielfach in Anspruch nahm, und zwar auf die unerfreulichste Weise; er mußte bald bei Hofe, bald in den anschließenden Kreisen lebende Bilder stellen, Maskenzüge ordnen, und all dies Treiben ekelte ihn an. Konnte er Lorle von den Kämpfen um das innerste Wesen seines Lebensberufes Etwas mittheilen?
    Sonst, wenn ihm die Mißlichkeiten des Lebens zu nahe rückten, flatterte er davon, ließ all das kunterbunte Treiben hinter sich und vergrub sich still in den Bergen; jetzt war er festgebunden ...
    Der Frühling nahte, die Frau des Registrators fühlte sich immer freier, und doch war sie nur noch ein Schatten. Lorle hatte manchen Aerger am Krankenbette, besonders über das singende Mädchen gegenüber; das sang und klimperte fort, mochte daneben ein Mensch sterben und verderben. Lorle konnte sich noch immer nicht in die Welt finden, wo Jubel und Todesschmerz Wandnachbarn sind und doch geschieden wie ferne Welten. –
    Bis zum letzten Athemzuge der Kranken harrte Lorle bei ihr aus und drückte ihr die Augen zu. Nun hatte sie wieder eine Befreundete zur Erde bestattet, die Sorge für die Kinder blieb ihre unausgesetzte Pflicht. Im ganzen Haus und in der Nachbarschaft hatte man vernommen, wie aufopfernd und edel Lorle gegen die Verstorbene und deren Familie gehandelt; sie gewann sich dadurch eine stille Achtung und Liebe. An manchem Gruß von ehedem stummen Lippen, an manchem ehrerbietigen Ausweichen auf Treppe und Hausflur merkte dieß Lorle, und es erquickte sie im tiefsten Herzen. Oft dachte sie: »die Menschen sind doch überall gleich, nur kennen sie in der Stadt einander nicht. Vielleicht ist da eine brave Nachbarin, der es lieb wäre wenn ich zu ihr käme, aber wir wissen nichts von einander.«
    Wer sollte es aber glauben, daß Lorle ein geheimes und dauerndes Verhältniß zu einem fremden Manne hatte?
    Die Kanzlei, dem Hause gegenüber, war vollendet und bezogen. Wenn nun Lorle des Morgens ihren Vogel vor das Fenster hing, öffnete sich gerade gegenüber in der Kanzlei ein Fenster; ein Mann mit wenigen schneeweißen Haaren erschien und begoß seine Blumen, die auf dem äußersten Fenstersims standen. Er sah dann starr nach Lorle, bis ihr Blick ihn

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