Schwarzwaelder Dorfgeschichten
die Pfaffen in Ruh, da ist nicht gut anrühren und die gelten eigentlich doch nur bei den Weibsleuten. Jetzt müssen wir weniger Steuern, müssen Schwurgerichte und Landwehr haben, das ist jetzt die Hauptsach'.«
Trotz aller Bitten Lorle's hatte sich der Vater nicht bewegen lassen bei ihr zu wohnen, er blieb bei einem alten Bekannten, einem Bäcker, der ihn bisweilen beim Fruchteinkaufe besuchte und der zugleich eine Wirtschaft hielt; Lorle mußte oft mit ihm dahin gehen, und sie saßen dann nicht in der Wirthsstube, sondern im Backstüble bei der Familie. Lorle war voll Freude, hier Menschen zu finden, einfach und offen wie daheim, voll rüstiger Thätigkeit im Haus und im Feld. Der Wadeleswirth empfahl noch seinem Gastfreund, er solle Lorle beistehen und ihr geben was sie verlange, und sie versprach öfters zum Besuche bei der Bäckerfamilie zu kommen.
Die Stunde der Abreise nahte. Lorle konnte den Gedanken nicht los werden, daß sie auf lange Abschied nehme und ihren Vater vielleicht nimmer wiedersehe; sie sagte daher bei der letzten Handreichung: »Pfleget Euch nur auch recht gut, daß Ihr gesund bleibet und machet Euch wegen meiner keinen Kummer.«
»Närrle,« erwiderte der Vater; »ich sterb' noch nicht, und wenn ich sterb', du kannst ruhig sein, du hast mir mit Willen dein Lebtag keinen traurigen Augenblick gemacht.«
Lorle weinte.
»B'hüt dich Gott!« sagte der Vater in einem gewaltsam starken Ton, »und komm auch bald auf Besuch.«
Er stieg auf das Wägelchen des Bäckers, mit dem er halbwegs fuhr, wo ihn dann der Martin abholte.
Lorle lebte nun wieder in ihrer alten, ruhig stillen Weise. Die beiden Freunde aber waren in großer Aufregung.
Eine soeben erschienene Zwanzigbogenschrift brachte die ganze Stadt in Aufruhr. Sie hieß: »Die Sonntagsteufel mit den weißen Bäffchen, oder ein Schuß in's Schwarze, von Adalbert Reihenmaier.« Die Vorrede lautete: »Leser, auf zwei Worte! Ich will die Religionsheuchelei an's Messer der Oeffentlichkeit liefern. Ich will die Versteinerungen im Moraliencabinet ordnen. Komm mit.«
Der Collaborator, der ehedem die Ansicht gehegt hatte, man müsse die ganze heutige Welt radical in sich verfaulen lassen, hatte nun doch an das Bestehende angeknüpft, da er zur Einsicht gelangt war, daß jene Erhabenthuerei blos eine Maske der Trägheit und Selbstgefälligkeit ist.
Die Tiefe und Selbständigkeit der philosophischen und geschichtlichen Forschung war in der Schrift unverkennbar, Manches aber nahm sich seltsam aus; denn es waren nackt hingestellte Ergebnisse langer Besprechungen oder weitläufiger innerlicher Denkprozesse, nur für denjenigen vollkommen klar, der den Collaborator kannte. Daneben waren dann wieder Sätze wie Dolche aus zusammengeschweißtem und gehämmertem Stahldraht. Ein Kapitel: »Adam Kadmon, oder die Urmenschen an der Spitze der Geschichtsepochen«, in dem der Verfasser seine Ansichten von der Erlösung darlegte, wurde von Oberflächlichen als mystisch bezeichnet, weil darin die Wiedergeburt der Menschheit durch die reine Natur erklärt werden sollte. Wir kennen einige Grundlinien dieser besondern Anschauung aus der Art, wie der Collaborator das Wesen Lorle's gegenüber den Culturbestrebungen ansah. So weit ab in die Tiefen des Geistes und der Geschichte sich diese Erörterung verlief, kann sie doch wohl durch jene Betrachtung angeregt worden sein; denn wer weiß, aus welchen scheinbar fernliegenden Anregungen der schöpferische Geist seine Gebilde schafft und seine Erkenntnisse den Anfang nehmen.
Wo sich die Schrift dem unmittelbaren Leben zuwendete, gelangte sie zu einem Schwunge, der sich mit dem prophetischen vergleichen ließ; hier loderte der Eifer gegen die Verunstaltung und die Blindheit, die aus dem Beseligendsten und Befreiendsten eine Jammerschule und eine Sklavenkette macht. Eben dies erregte den heftigsten Zelotismus gegen den Verfasser. Von den Kanzeln herab wurde gegen den ruchlosen Gottesleugner gepredigt und zugleich alsbald eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet. Jetzt lebte jene alte Notiz in dem geheimen Buch und das Aktenfascikel 14263 wieder auf; die Schrift und jene Thatsache wurde zur Fangschnur gedreht: der Collaborator wurde wegen Atheismus angeklagt.
Die rechtsgelehrten Freunde erboten sich, ihn juristisch zu vertreten, er lehnte es ab, und die Vertheidigungsschrift, die er einreichte, ward zur neuen Anklage. Dennoch ging er so frei und froh umher, wie noch nie. Was kümmerten ihn die scheelen Blicke und das
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