Schwarzwaelder Dorfgeschichten
wiederum sein unbändiges Wesen aufwuchs. Reinhard schlug die alte übermüthig lustige Weise gegen seinen Schwiegervater an, Lorle freute sich darüber. Sie wußte nicht, daß er sich innerlich Vorwürfe machte, daß er jetzt mit Absicht und Willen eine Form annahm, die ehedem unwillkürlich zu seinem Wesen gehörte; aber ihm stand keine andere Vermittlungsart mit seinem Schwiegervater zu Gebote. Der Collaborator war überaus zuvorkommend und freundlich gegen den Wadeleswirth; Lorle neckte ihn, weil er sich sonst so wenig sehen ließ; sie konnte nicht ahnen, daß er sich von ihr zurückzog, aus Furcht sein Mitleid und seine Verehrung für sie könne ihm einen bösen Streich spielen.
So hatte die erste Stunde des Zusammenseins einen überaus heitern Anstrich und hätte man später auch Lust oder Veranlassung gehabt, eine andere Farbe zum Vorschein kommen zu lassen, so wäre dies nicht mehr möglich gewesen, wenigstens nicht in der ganzen Schärfe und Bestimmtheit; denn die erste Stunde des Wiedersehens ist der Accord, der die Tonart für den ganzen Verlauf des Beisammenseins angiebt. Außerdem war Reinhard mit Arbeiten überhäuft, wie er mindestens behauptete, er überließ daher seinen Schwiegervater ganz der Leitung und Fürsorge des Collaborators.
Sei es zufällig oder absichtlich, Reinhard ging nie mit dem Wirth, der natürlich in seiner Bauerntracht erschienen war, bei Tage über die Straße. Lorle glaubte, er ahne und fürchte eine unangenehme Auseinandersetzung und wolle dieselbe vermeiden, sie hatte nichts dagegen einzuwenden; daß er sich des Bauern schämen könnte, kam ihr nicht entfernt in den Sinn.
Der Collaborator war ganz glückselig den Wadeleswirth überall geleiten zu können, er erfreute sich nicht nur an dem körnigen naturkräftigen Sinne des Mannes, sondern er wollte auch vor sich und vor Andern beweisen, wie sehr er sich dem Volke nahe fühle; er versuchte sogar Arm in Arm mit dem Wirth zu gehen, was dieser aber als unbequem ablehnte. Der Wirt fand den Gelehrten in der Stadt auch viel schlichter und natürlicher als damals im Dorfe, er war daher auch ganz harmlos gegen ihn und sagte einmal: »Es ist mir doch allemal, wenn ich nach der Stadt da komm', wie wenn ich umfallen müßt'; es ist Alles so eben (flach), es sind keine Berg' da, wo ich mich d'ran halten kann.« –
Der Collaborator erfreute sich an dieser eigenthümlichen Empfindungsweise des Bergbewohners, aber er hatte gelernt, nicht alsbald auf Alles eine Gegenbemerkung zu machen, wodurch der lautere Erguß gehemmt oder in eine andere Richtung gelenkt wurde.
Der Landtag ward gerade wiederum versammelt, der Collaborator brachte seinen Schützling in die Gesellschaft der freisinnigen Abgeordneten. In der ganzen Stadt und zumal »höheren Orts« wurde es übel vermerkt, daß der Collaborator als Staatsdiener, der noch dazu jeden Tag seine endliche Ernennung zum Bibliothekar mit Gehaltserhöhung erwarten durfte, sich offen der ständischen Opposition anschloß; er kümmerte sich aber wenig um die ihm hierüber zugehenden Andeutungen. War nur irgend ein Bedenken berechtigt über den Anschluß an Männer, die auf dem Boden der Verfassung stehend gegen Regierungsmaßregeln kämpften und Normen für die Zukunft feststellten? War er ein Diener der Minister oder des Staates? – – Der Wadeleswirth, aus dessen Bezirk ein Regierungsmann gewählt war, wurde dennoch von dem angesehenen Haupt der Opposition mit besonderer Auszeichnung behandelt, weil er nicht nur als freisinniger Wahlmann bekannt war, sondern in ihm auch eine Bürgschaft für die zukünftige Besserung des verlorenen Wahlbezirks liegen konnte. In dem rührigen, ernsten und heitern Leben, das in dieser Gesellschaft den Wadeleswirth umgab und wo er andächtig zuhörte, vergaß er fast ganz, warum er eigentlich nach der Stadt gekommen war; überdieß sah er jetzt wohl ein, daß hier nichts von seiner Seite geändert werden könne, und so war er froh, doch in der Betheiligung an den allgemeinen Landesangelegenheiten eine Erhebung zu finden. Der Collaborator sprach mit seinem Schützling viel über Staatsverhältnisse, aber voll von dem Gegenstande, den er eben jetzt in seiner Schrift behandelte, konnte es auch nicht fehlen, daß er oft darauf zurückkam, man müsse zunächst und vor allem die wahre Religion wieder herstellen und dem »Pfaffenthum den Treff geben«.
»Ich hätt's nicht glaubt,« entgegnete der Wadeleswirth, »daß Ihr so fromm seid; aber lasset doch in Gottes Namen
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