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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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gestorben. Nachdem sie sich sattsam ausgeweint hatte, war sie wunderbar gefaßt; sie ging tagtäglich nach der Kirche, um für den Verstorbenen zu beten. Leopoldine stand ihr getreulich bei in ihrem Kummer. Als sie ihr einst durch Erinnerung an eigenes Mißgeschick Trost zusprechen wollte, sagte Lorle: »Er ist jetzt todt, aber mir ist's, wie wenn er nur weiter weg wär', wo man eben nicht hinkommen kann bis Gott Einen ruft, ich denk' jetzt g'rad an ihn wie wenn er noch da wär', für mich ist's eins; ob man so weit oder so weit voneinander ist, das ist gleich. Es thut mir nur leid, daß er nichts mehr von dieser Welt hat, er hat aber die andere dafür; mich dauert nur mein' Mutter, mein' gute gute Mutter.«
    Reinhard kam immer seltener und immer flüchtiger nach Hause, er vollführte ohne Unterlaß seine Aufträge für den Hof; er setzte einen Stolz darein, zu zeigen daß ihm die Ungnade nicht nahe gehe und er Großmuth zu üben wisse. – In den Feierabenden begann er sich auf traurige Weise zu betäuben.
    Lorle fühlte ein fast unbezwingbares Heimweh, und doch wollte sie nicht auf einige Tage zur Mutter; sie fürchtete das Wiedersehen, den Abschied und die Rückkehr. Oft war's ihr wie einem Vogel, der die Flügel regt, aber sich nicht aufschwingen kann. Im Traume kam es ihr vor, als hätte der Bach ihres heimatlichen Dorfes eine Gestalt gewonnen und zöge und zerrte an ihr, daß sie heimkehre.
    Eines Abends im Herbste saß sie am Fenster und sah den Schwalben zu, die jetzt hastiger durch die Luft schossen, im Fluge zwitscherten und sich grüßten; Lorle breitete unwillkürlich die Arme aus, sie wünschte sich Flügel, sie wollte fort, sie wußte nicht wohin. Die Dämmerung brach herein, die Abendglocke läutete, Lorle konnte nicht beten, sie saß im Dunkel und träumte: sie läge tief in der Erde eingeschlossen und nimmer tagt's. Da erwachte sie und hörte eine Stimme auf der Straße, die in schwerem, langem Klageton rief: Sand! Sand! Sand!
    »Ach Gott!« dachte Lorle, »der Mann will noch nicht heim, er kann seinen Kindern kein Brod bringen für den Sand, den er feil bietet.« Sie ging hinab und kaufte dem Manne seinen ganzen Wagen voll Sand ab, so daß für Jahr und Tag vorgesorgt war. Der abgehärmte heisere Sandverkäufer dankte ihr mit Thränen in den Blicken. Sie ging nun wieder in die Stube und malte sich das Glück der Familie aus, wenn der Vater heimkam und Brod und Geld mitbrachte. Zu sich selber sprach sie dann: »Du bist doch undankbar, du hast's so gut, hast dein täglich Brod, und dein Mann läßt dich über Alles Meister sein. Ach, er ist ja so gut. Wenn ich ihm nur helfen könnt'.«
    Sie nahm ihr Gebetbuch und betete; sie mußte herzstärkende Worte gelesen haben, denn sie küßte die Blätter des Buches und legte es zu.
    Wie viele inbrünstige Küsse lagen schon in diesem Buch eingeschlossen!
    Lorle faßte den Entschluß, heute zu warten bis Reinhard heimkäme; sie mußte ihm wieder einmal ihr ganzes liebendes Herz offenbaren. – Stunde auf Stunde verrann, er kam nicht; sie hatte wieder das Gebetbuch ergriffen und Gebete und Gesänge für alle möglichen Lebensfälle gesprochen und leise gesungen; sie rieb sich oft die Augen, aber sie blieb wach.
    Welch ein eigenthümlicher Weltzusammenhang offenbarte sich ihr jetzt. Die Gedanken der Menschen in den verschiedensten Lebensverhältnissen waren jetzt durch ihre Seele gezogen, und alle und überall seufzten sie auf und streckten die Hände empor. Könnt ihr euch nicht retten und emporschwingen?
    In diesem Gedanken saß Lorle da und starrte hinein in das Licht.
    Mitternacht war längst vorüber, als sie Reinhard die Treppe heraufkommen hörte; sie wollte ihm entgegengehen, aber doch hielt sie's für besser, ihn in der Stube zu erwarten. Jetzt öffnete sich die Thür. Verhülle dich Auge! Ein Schreckbild, das einst im Scherz dich so gepeinigt – es wird zur Wahrheit.
    »Lieber Reinhard, was ist dir?« rief Lorle entsetzt.
    »Laß mich, laß mich,« antwortete Reinhard mit schwerer, lallender Zunge; er that einen Schritt vor und taumelnd stürzte er auf den Boden.
    Lorle schrie nicht um Hülfe, sie hatte seinen Zustand erkannt und warf sich neben ihm auf den Boden, sie schaute dann mit gläsernem Blick umher und konnte nicht weinen. Eine Göttererscheinung, zu der sie anbetend aufgeschaut hatte, war in den Staub gesunken. »Wer hat das verschuldet? Er, ich oder die Welt? ...«
    Endlich stand sie auf, holte ein Kissen und legte es Reinhard unter den

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