Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
Vom Netzwerk:
die Menschen durch Speise und Trank ihr Leben auffrischen, sie betrachtete die Speisen wie Etwas, das sie gar nichts anginge; sie war so satt, so tiefgetränkt, daß sie glaubte, hundert Jahre so fortleben zu können.
    In dem Hause wo sie geboren und erzogen war, das sie noch nie verlassen hatte, schaute sich jetzt Bäbi um, als käme sie eben aus der Luft herabgeflogen und hätte sich nur hier niedergelassen; fragend schien sie zu forschen, wer denn gekocht habe, wer das Haus gebaut und eingerichtet, wie der Mensch so vielerlei nöthig habe – sie wollte doch von Allem nichts; sie schien fragen zu müssen, ob denn früher schon eine Welt da war, während ihr eigen Leben jetzt erst aufging. Ein neugeboren Kind, das reden könnte, müßte so die Welt erfassen.
    Bäbi stand oft still, schloß die Augen und schaute in sich. Sie konnte es nicht in Worte und feste Gedanken setzen, aber sie fühlte es, in dieser Stunde war sie zum Bewußtsein ihrer selbst erwacht, wieder geboren. Wie hatte heute am Morgen namenloser Schmerz ihr ganzes Wesen aufzehren wollen, die süßeste, zuversichtliche Hoffnung war in unabsehbare Ferne gerückt. Jetzt war's ihr, als ob ein fremder Mensch in all den Klagen gerungen habe, sie selber war ja so froh, wie abgelöst aus einer fremden Hülse. Sie mußte sich fast gewaltsam die Erinnerung zurückrufen, daß sie Braut sei, daß sie auf der Schwelle stehe, ein eigen Heimwesen zu gründen. Das war ein Kind das solches erlebt hatte, wo ist es hin? Sie wäre gern zu allen Menschen hingeeilt und hätte ihnen gesagt, daß sie ihren Vater über Alles liebe, daß er mehr sei als die ganze Welt. Und Paule? Der war ja eins mit ihr, der mußte ja Alles mit erfahren und gedacht haben wie sie – oder war's nicht so?
    Ein Mädchen, das den Vater verlassen, besinnt sich jetzt erst in der Entfernung der stillen Verehrung, die es für den Würdigen gehegt, sehnsuchtsvoll öffnet sich das innerste Heiligthum des Herzens und hell strahlt das erhabene Bild aller Kraft und alles Edelsinns. Wie ganz anders tritt dann wieder die Tochter dem Vater entgegen.
    Bäbi hatte sich von ihrem Vater mehr als räumlich entfernt und sie erschaute ihn jetzt wie einen Heiligen, der ihr geraubt war. Nicht durch äußere Lehre, aus dem innersten Zusammenhang der Familie sollte Bäbi zum höchsten Leben erweckt werden.
    Wir werden vielleicht das geheimnißvoll dunkle Walten in der Seele des Mädchens noch näher kennen lernen, wenn es nicht die scharfe Wirklichkeit in sich bricht.
    »Was ist das für ein Lärm?« rief plötzlich Alles in der Stube. Man sprang an's Fenster. Des Schützen Christoph drehte vor dem Hause die große »Rätsch«, das ist der Kasten aus gespannten Brettern, die ein Kammrad in Bewegung setzt. Die Rätsch dient statt der Kirchenglocken, wenn diese zur Fastenzeit nach Rom zur Beichte wallfahren. Was sollte das aber jetzt mitten im Sommer? Ein Theil der Tischgenossen rannte auf die Straße, um Erkundigungen einzuziehen, die Uebrigen eilten in die Kammer, wo die Ahne von dem plötzlichen Knattern der Rätsch aufgewacht war und laut schrie: das Haus stürze ein.
    Bald erfuhr man was vorging. Der Pfarrer hatte verordnet, daß, weil die Kirche entweiht sei, keine Glocken geläutet werden dürfen; er wußte wohl, daß die Kirche das Herz der Gemeinde, zumal am Sonntage, und dieses Herz kehrte er um und um; er ließ den Altar, die Gefäße u.s.w. aus der Kirche bringen und im Freien aufstellen, um dort den Mittagsgottesdienst zu halten.
    »Kannst du das lesen?« fragte Luzian den Wendel, als sie in der Kammer waren und deutete auf die innere Seite der Thüre.
    »Ja,« entgegnete Wendel und las das mit Kreide hingeschriebene Wort: Thomasius!
    »Komm heraus ich muß dir was erzählen,« sagte Luzian und fuhr dann in der Stube fort: »Guck, wenn ich den Namen wieder seh' und hör', da weiß ich's ganz deutlich, wie es bei mir angefangen hat, daß ich den Pfaffen so auf den Haken sitze; die Hexen sind daran schuld und die Ahne drin.«
    »Wie so? Hältst du denn die Ahne für eine Hex'?«
    »Umgekehrt ist auch gefahren. Ich hab' mir so denkt, wenn die Ahne in alten Zeiten gelebt hätt', wer weiß ob sie nicht verbrannt wär', sie hat oft so gewundrige Sachen an sich. Und da, da ist mir's siedig heiß eingefallen, wie doch vor Alters die Welt so grausam verdammt dran gewesen ist. Ich hab' den alten Pfarrer darüber befragt, warum denn die Geistlichkeit das so lang zugeben hat, und da hat er mir bestanden, daß man

Weitere Kostenlose Bücher