Schwarzwaelder Dorfgeschichten
was ist es anderes, das die Wahrheit hemmt, sich über alle Welt zu ergießen? Es ist mit einem Worte die Volksverachtung . Der Hexenkessel in dem diese gebraut wird, steht auf dem Dreifuß der Amtirungssucht, dem dünkelhaften Hochmuth der Alleinweisen, und auf der verletzlichen Zimperlichkeit der Wohlmeinenden. Sollte auch Luzian dem selbstherrlichen Dünkel der Alleinweisen verfallen?
Wer draußen steht, sich allein dem Volke gegenüber stellt, dem mag es leicht werden, sich dem Volke zu entziehen, indem er ihm nie die Kraft der vollen Wahrheit zutraut oder beim ersten Versuche sich verächtlich von ihm abwendet. Das Volk ist ihm gestaltlose Masse. Anders ist es bei Luzian. Er lernte die Menschen nicht als Masse kennen, sondern als Einzelne; ihm war es nicht gegeben, die mannigfaltigen Sinnesweisen verschiedener Menschen mit einem einzigen in Maschen verschlungenen Begriff, mit einem einzigen Wort einzufangen.
Wenn man mehrerlei Waldvögel in Einen Käfig sperrt, verlieren sie ihren Waldschlag, keiner von Allen singt mehr, und sie zwitschern nur noch fast so ängstlich und unbestimmt wie lallende Küchlein.
Luzian konnte nicht wie Andere vom Volke und dergleichen reden, er kannte die Einzelnen, und die waren meist gut und getreu. Wie im Fluge schweifte sein Geist im eigenen Dorfe und in dem und jenem benachbarten von Haus zu Haus. Da und dort wohnt ein kernfester Ehrenmann; er kannte ihn von Jugend auf, und doch war er nicht auf dem Wege, den er jetzt ging.
»Nein,« sprach es in ihm, »ich bin nicht besser, als der und jener und dieser da. Aber warum greifen sie nicht mit an? Warum ziehen sie sich zurück von dir? Sie sind eben jetzt noch da, wo du selber vor ein paar Jahren noch gewesen bist. Das sind lauter alte Luzians, die da 'rumlaufen, thu' ja Keinem nichts und halt' mir ihn in Ehren, du bist's selber. Wie hätt' dir's gefallen, wenn dazumal Einer wie du jetzt dich mit grimmigen Augen von oben 'rab angesehen hätt'? Nein, ihr seid Alle meine Brüder! ihr seid so gescheit wie ich, es ist nur noch nicht heraus. Herr! Wenn ich da Alle hätt', da auf dem Acker, und ich stund' auf dem Markstein und thät' ihnen das Herz aufschließen und sie mir, das wär's, das müßt's sein. Warum dürfen wir nicht zusammenkommen? Wer kann uns hindern? Die Soldaten? Das sind unsere Buben und Brüder. Es muß sein. Herr! Wie sind wir an Hand und Fuß gebunden. Bricht's denn nicht einmal?« Luzian richtete sich rasch auf, und nächst dem Gedanken an eine große Versammlung, gegen den Willen des Beamten und Pfarrers erquickte ihn noch innerlich das stille Bewußtsein eines Sieges über sich selber, über Hochmuth und Empfindlichkeit. Er hatte die echte liebende Duldung gefunden. »Lauter alte Luzians,« sagte er im Weitergehen noch oft vor sich hin, »mir wird das Gebot jetzt leicht: liebe deinen Nächsten wie dich selbst, jetzt versteh' ich's. Wenn du auf Einen grimmig bist, denk', du wärst der, der dich verzürnt, du könntest ja auch so sein ... Es ist doch viel Schönes in der Bibel, aber auch viel Anderes.«
Es war Nacht geworden. Luzian kannte jeden Baum und Strauch hier am Wege; wandelte er ja diesen Pfad schon mehr als dreißig Jahre. Im raschen Weitergehen, so im Vollgefühle der Kraft mit dem Schlehdornstock in der Luft fuchtelnd, verspürte er wieder eine alte Lust, die sich heute schon mehrfach regte, sich aber nicht unverhüllt aufthat.
Im Menschengemüth ebbt und fluthet es wundersam. Luzian wollte dreinschlagen, zuerst den Pfarrer, dann den Metard, und dann seinen eigenen Sohn Egidi und so fort tüchtig mit ungebrannter Asche einreiben, damit sie ihre gebührende Strafe bekommen und endlich einsehen, daß Recht und Vernunft ihm zur Seite stehen.
Wie bald sucht der Mensch die geistige Beweisführung zu verlassen und den leibhaften Nachdruck dafür einzusetzen. Sich so mit der ganzen Schwere des Wesens auf den Gegner zu werfen und ihn zu zermalmen, darin liegt nicht blos rohe Gewaltthätigkeit, sondern auch ein Bestreben, damit tatsächlich darzuthun daß man bereit sei, das ganze Dasein daran zu setzen und den Gegner anzurufen, daß er bewähre, ob die Macht des Gedankens in ihm so stark sei, auch äußerlich die Gewalt zu erringen.
Darum greifen Völker und Parteien so gern zum Schwerte. Es gilt als letzte Beweisführung, die Lebenskraft einzusetzen.
Mitten auf dem Wege, an der großen Buche wo die vielen Namen eingeschnitten sind, merkte Luzian plötzlich, daß drunten im Thale die Sägmühle gestellt
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