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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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Pferdebiß?«
    »Laß einmal sehen,« erwiderte der Schmied.
    »Es ist jetzt schon heil,« beschwichtigte Diethelm in Furcht, sich zu verrathen, »aber für's Zukünftige könntest du mir ein Mittel geben.«
    »Da wendest du dich am besten an den alten Schäferle, der hilft dir, daß es in einer Stunde vorbei ist.«
    Diethelm versprach dieß vorkommenden Falles zu thun. Während er am Feuer stehend den Schmerz verbiß, kam ein Trupp Männer und Burschen wild lärmend nach der Schmiede, so daß Diethelm erbebte.
    »Komm Schmied,« hieß es nun, »es ist Befehl vom Amt da, daß wir mit dem Bahnschlitten 'naus müssen, der Postwagen kann nicht durch. Sollen wir gleich die Rappen da einspannen?«
    Diethelm wehrte ab und es gelang ihm, seine halb gegrifften Pferde zu behalten. Der Trupp eilte nach dem Spritzenhäuschen, wo der Bahnschlitten stand.
    Im ganzen Dorfe war jetzt eine wunderliche Aufregung. Die Nachricht, daß man von aller Welt abgeschnitten sei, durchdrang alle Häuser und die Menschen, die sonst nie daran dachten, daß anderswo auch noch Leute wohnen, thaten auf Einmal, als ob sie allstündliche Verbindung nach außen hätten und gar nicht leben könnten ohne deren ungestörten Bestand. Ueberall in den verschneiten Gassen sah man mit dem Winde kämpfende Menschen hin- und herrennen, Weiber grillten, wie sie unversehens in eine tiefe Schneewehe traten, Kinder jauchzten, Männer schrieen: man lief nach den Nachbarhäusern zu Vettern und Verwandten, als müßte man sich vergewissern, daß der Weg dahin noch offen sei und Vorsorgliche eilten zum Krämer, um sich Salz zu holen; denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß der Salzvorrath bald erschöpft sei und man lange keines von außen bekommen könne. Vor allen Häusern wurde geschaufelt und Eis gehackt und mancher Scherz dabei verübt und die Kinder thaten überall mit, denn in der allgemeinen Aufregung war ein glücklicher schulfreier Tag. In das verschlossene lautlose Winterleben des Dorfes war plötzlich ein buntes lärmendes Straßentreiben gekommen, in dem das damit verbundene Ungemach fast vergessen schien, der Wirrwarr hatte seinen eigenen Reiz und die Erwachsenen sind auch oft wie die Kinder, denen nichts lieber ist, als eine tummelfreie Umkehr der gewohnten Ordnung.
    Das meiste Leben war bei dem Bahnschlitten. Dieses noch aus dem Urzustande herstammende Fahrzeug aus starken in einen spitzen Winkel gefugten Borden bestehend, einem in der Mitte zertheilten Schiffe gleichend, dessen Kiel mit Eisen beschlagen, wurde mit sechs Pferden bespannt, und mindestens dreißig Mann stellten sich als Beschwerungslast auf denselben, johlten und schrieen.
    Diethelm sah all dem Treiben mit unnennbarer Seelenangst zu. Das Herz im Leibe drückte ihn wie ein Stein, bald schlug es ihm wie Flammen zum Gesicht heraus, bald überrieselte es ihn eiskalt; den Schmerz am Arme spürte er kaum mehr. Am Bahnschlitten hörte er mehrmals den Namen Medards nennen, der sonst immer bei dieser Ausfuhr gewesen war und sich heute nicht sehen ließ. Diethelm sagte, der Medard müsse daheim bleiben, da er verreise. Endlich fuhr das schwere Gefährt das Dorf hinaus, und es trat eine Weile Stille ein. Diethelm kehrte in das Waldhorn zurück. Der Vetter war froh, daß sich die Reise noch verzögerte, während Diethelm vor Verzweiflung fast vergehen wollte. Er stellte die Rappen im Waldhorn ein und wollte bis zur Abreise nur die Rückkunft des Bahnschlittens abwarten, einstweilen ging er wieder – nach Hause. Es schauderte ihn innerlich, da er dieses Wort aussprach, er hatte ja kein Haus mehr, es sollte nicht mehr sein. Dennoch ging er den Weg dahin, aber an der Anhöhe hielt er an und konnte sich nicht dazu bringen hinauf zu steigen. Es kam ihm der Gedanke, Medard zu befreien, und wie von einem Bann erlöst, rannte er mehrere Schritt hinan; aber plötzlich hielt er wieder inne: wenn er nun Medard befreite, muß dieser ihn nicht auf den Tod hassen und in's Elend bringen? ... Diethelm kehrte rasch wieder um. Aber noch einmal und noch einmal stieg er fast dieselbe Höhe des Berges hinan, und wieder stand er still und fuhr sich mit todtenkalter Hand über die heiße Stirn, denn er dachte: Medard ist schon erstickt, er muß schon erstickt sein. Was willst du dir noch den grausenvollen Anblick machen, der dich nie verlassen wird, so lang dir ein Aug' offen steht? ... Der Wind im Rücken half Diethelm rasch den Berg hinabspringen, und er kam eben in's Dorf, als der Eilwagen glücklich

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