Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
Vom Netzwerk:
ist, so auf einmal nicht mehr Herr über sich zu sein; es ist, als ob einem der eigene Körper genommen wäre. Von Hand zu Hand geschubt, muß man freiwillig seine Füße aufheben, um doch nur dahin zu gehen, wohin andere wollen. Das fühlte Mathes, denn er war in seinem ganzen Leben jetzt zum erstenmal vor Gericht. Es war ihm so schwer und so bang zu Muthe, als ob er ein recht großer Verbrecher wäre, als ob er einen Menschen ums Leben gebracht hätte; er meinte, die Kniee müßten ihm zusammenbrechen, als er die vielen Treppen den Berg hinaufgeführt wurde. Er ward nun in den Turm gesperrt, der so zudringlich hoch auf dem Berge steht, wie eine Zwingburg, wie ein großer steinerner Zeigefinger, der der ganzen Umgegend zuwinkt: »Hütet euch!«
    Die Zeit wurde dem Mathes sterbenslang. Er war, solange er denken konnte, nie eine Stunde allein ohne Arbeit gewesen; was sollt' er nun thun? Er lugte eine Weile durch das doppelt vergitterte Fenster in der sechs Schuh dicken Mauer hinaus, aber er sah nichts als ein Stückchen blauen Himmel. Auf der Pritsche liegend, spielte er lange mit dem Tannenreis, das er in seiner Tasche fand, das war noch ein Ueberrest aus der grünenden Welt draußen. Er steckte es zwischen eine Brettspalte und dachte es sich als den großen Maibaum, der an des Aivles Haus stand; es kam ihm vor, als ob es schon hundert Jahre wäre, seit er diesen gesehen hatte. Seufzend fuhr er auf, er schaute wirr umher und stampfte mit den Füßen; er fing nun an, pfeifend die Nadeln an dem Tannenreis zu zählen. Mitten drin aber hörte er auf und betrachtete das Reis genauer; er sah jetzt zum erstenmal, wie schön so ein Reis ist; unten waren die Nadeln dunkelgrün und hart, nach der Spitze zu aber waren sie noch so sanft und hellfarbig, so weich wie der Flaum eines Vogels, der noch nicht flügge ist, und ganz oben war der kleine Keim mit seinen zierlich übereinander gelegten Schuppen – das sollte ein Tannzapfen werden. Besser als Lavendel und Rosmarin roch der frische Harzduft des Zweiges. Mathes fuhr sich mit demselben leise und sanft über das ganze Gesicht und über die geschlossenen Augen; den Zweig in der Hand haltend, schlief er endlich ein. Im Traume war es ihm, als ob er auf einer schwankenden Tanne festgebannt wäre, so daß er kein Glied rühren könnte; er hörte die Stimme Aivles, das den bösen Geist bat, daß es zu ihm hinaus dürfe, um ihn zu erlösen. Er erwachte und hörte wirklich die Stimme Aivles und die seines Bruders Christle. Sie hatten ihm das Mittagessen gebracht und baten den Gefängniswärter, ihn in seinem Beisein besuchen zu dürfen, aber es wurde nicht gestattet.
    Erst gegen Abend wurde Mathes in das Verhör gebracht. Der Oberamtmann redete ihn sogleich mit Du an und schimpfte ihn auf Hochdeutsch ebenso, wie gestern der Schultheiß auf Bauerndeutsch. Solange die Gerichtsverhandlungen nicht öffentlich sind, wie sie es zu alten Zeiten in Deutschland überall waren, solange wird ein Beamter immer mit einem Angeklagten machen können, was er will; darf er ihn auch nicht mehr auf die Folter spannen oder prügeln lassen, es gibt noch viele andere, oft härtere Mißhandlungen.
    Sporenklirrend im Zimmer auf und nieder schreitend, ein kleines Papierchen stets rasch zwischen den Fingern drehend, stellte der Oberamtmann seine Fragen:
    »Wo hast du den Baum gestohlen?«
    »Ich weiß von nichts, Herr Oberamtmann.«
    »Vermaledeiter Spitzbub, du lügst,« sagte der Amtmann rasch, indem er auf Mathes zutrat und den Zipfel seines »Brusttuches« 3 faßte.
    Mathes zuckte rückwärts zusammen, seine Hand ballte sich unwillkürlich.
    »Ich bin kein Spitzbub,« sagte er endlich, »und Ihr müsset das, was Ihr da gesagt habt, in's Protocoll 'neinschreiben; ich will sehen, ob ich ein Spitzbub bin. Mein Vetter, der Buchmaier, kommt schon wieder heim.«
    Auf diese Rede kehrte sich der Amtmann um und kniff die Lippen über einander.
    Wäre die Sache des Mathes nur eine bessere gewesen, es hätte dem Amtmann schlecht ergehen können; wohlweislich aber ließ dieser seine Rede nicht in's Protocoll setzen. Er klingelte und ließ den Soges hereinkommen.
    »Was habt Ihr für Beweise, daß der da den Maien gesetzt hat?«
    »Jed' Kind im Dorf, die Ziegel auf dem Dach wissen's, daß der Mathes zu dem Aivle geht; nichts für ungut, aber ich mein', das Kürzeste wär', man läßt das Aivle kommen, da wird er's nimmer läugnen, er kann keinen auf die Gabel 4 nehmen, daß es nicht wahr ist.«
    Als der Mathes das

Weitere Kostenlose Bücher