Schwarzwaelder Dorfgeschichten
vielfach gebrochen in die Stube. Brosi hatte die Ampel gelöscht und saß noch lange still und horchte auf die Musik, die vom Auerhahn herübertönte; er schnupfte viel, denn das hatte er sich seit geraumer Zeit angewöhnt, es wollte ihm gar nicht in den Sinn, daß er zum Erstenmal nicht zum Kirchweihtanze sollte. Mehrmals sagte er in sich hinein: »Sei nicht so närrisch, du bist kein junger Bursch mehr, die Schlappen sind jetzt deine Tanzstiefel. Du bist Großvater;« aber er konnte sich das in allen möglichen Wendungen wiederholen, es half nichts, er meinte immer, er müsse entfliehen. Endlich legte er sich doch still seufzend in das Bett, aber den Schlaf fand er nicht.
Mitternacht war vorüber, da regte sich Moni, und er sagte leise:
»Moni, Moni.«
»Was? Was willst?«
»Ich hab' gemeint, du schlafst.«
»Ich hab' nicht geschlafen. Was willst denn?«
»Ich kann auch nicht schlafen. Hörst die Musik?«
»Freilich, die läßt ja Einem kein Aug' zuthun.«
»Jetzt spielen sie den Bändelestanz. Ich möcht' nur auch wissen, wer den tanzt?«
»Geh 'nauf und sieh' zu, ich hab' dir schon gesagt, geh' du allein. Es ist mir lieber, wenn du gehst.«
»Ich geh' nicht allein. Aber weißt was? Wir haben doch eigentlich geschworen, daß wir, wenn wir gesund sind, jede Kirchweih tanzen wollen.«
»Ich bin aber nicht wohl.«
»Wird nicht so arg sein. Weißt was? Steh' hurtig auf und zieh' dich an. Oder sag' mir ehrlich, tanzst du nicht auch gern?«
»Freilich wohl, rechtschaffen gern, aber was willst?«
»Komm', wir tanzen daheim.«
Mit einem lustigen Juchhe sprang Brosi aus dem Bett, gab Moni ihre Kleider auf dasselbe und zog sich rasch an. Vom Auerhahn tönte die Musik, der Mond schaute gerade voll in die Stube, und Brosi und Moni tanzten miteinander, und Brosi jauchzte und stampfte auf und schnalzte mit den Händen, er warf seine Moni in die Luft und fing sie wieder auf: da öffnete sich die Stube, und die Kinder standen beifallrufend und jauchzend unter der Thür, sie waren vom Tanze zurückgekehrt und Niemand hatte ihren Eintritt vernommen.
»Wo ist der Severin?« fragte Brosi.
»Er ist mit uns, er ist grad verschwunden,« berichteten die Kinder.
»Wer hat den Bändelestanz ausgeführt?«
»Des Rösles Kaspar, und prächtig,« berichtete Mariann', und Franz, der nach Severin ausgeschaut hatte, sagte, daß er schon oben auf der Bühne in seinem Bett liege.
Der Severin war also der einzige, der sich über die Fröhlichkeit seiner Eltern nicht gefreut hatte und still davon geschlichen war. Er war und blieb ein seltsamer nicht zu bewältigender Trotzkopf.
Das Ende des vortrefflichen Vierunddreißiger Weinjahres brachte unserm Brosi eine große Freude: er hatte das Glück, seine zweite Tochter Mariann' nach Endringen zu verheirathen und zwar an den Petersepp, der jahraus jahrein in der Gipsmühle des Gevatters arbeitete und ein weitläufiger Vetter von des Jörgtoni's Kaspar war. Die Wurzeln eines ausgebreiteten Familienanhangs erstreckten sich immer weiter hinaus, aber diese, die seinen Geburtsort berührte, war für Brosi besonders nahrungsfrisch.
Am Hochzeittage war es, als ob der Boden seiner Heimath ihn verjünge, und oft rief er: »Jetzt hab' ich wieder einen Ableger in meinem Endringen, und wenn's uns in Haldenbrunn überleidet wird, gehen wir nach Endringen. Nicht wahr Moni?«
»Ja, wo du hingehst, geh' ich mit.«
Manchmal aber war es Brosi doch, als ob das nicht mehr das alte Endringen wäre. Die Leute hatten ein anderes Wesen, er konnte nicht recht fassen, worin das bestand und glaubte, daß es darin liegen müsse, daß Endringen badisch geworden sei; aber mit alten Kameraden sang er unaufhörlich Lieder, die nicht badisch und nicht württembergisch waren.
Wie die Flüsse und Ströme auf der Erde ihren Weg ziehen, unbekümmert um die Gränzpfähle an ihrem Ufer, so fluthet über der Erde ein unsichtbarer Strom des Geistes, der nicht zu fassen und nicht zu bannen ist durch willkürliche Scheidungen.
Brosi überschritt jetzt auch oft die Grenzen vieler deutschen Länder. Die Eisenbahnen, deren Vollendung über alle Trennung hinweg eint, hatten schon bei ihrer Erbauung die Arbeitskräfte der verschiedenen Länder vereinigt und den Unterschied der Fremdheit wenig gelten lassen. Brosi zog mit seinem Dreigespann nach dem Niederrhein und brachte reichlichen Verdienst zurück. Im Auerhahn hatte er dann viel zu erzählen von den fremden Landen und besonders von einem Dunkelnel, den er auswölben half
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