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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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wohl in den wärmern Ländern noch heller Herbst sei, aber immer mehr sagte ihr eine innere Stimme: er kommt nicht, er kommt nie mehr, du bist einsam und verlassen ... Sie wollte diesen Gedanken wieder ausreißen, er sollte sie nicht hindern, ihrem Manne mit voller Liebe entgegen zu kommen, und hundertmal ließ sie sich von Johannes die Worte vorsagen, die sie ihn gelehrt hatte, daß er den Vater damit bewillkomme; bald ließ sie auch das und pries im Stillen das Glück des Kindes, dem ein Entfernter ganz aus dem Sinne schwindet, wenn man es nicht geflissentlich daran erinnert.
    Die fröhliche Weihnachtszeit kam; nur um den Kindern Wort zu halten, zündete sie ihnen einen hellen Baum an, und es schnitt ihr in die Seele, als das Kind von selbst sagte: »Gelt Mutter, weil der Vater nicht kommen ist, darum kriegt er auch nichts?« Einen Baum voll Liebesflammen hatte ihm Zilge entzünden wollen, jetzt war Alles dunkel und ausgestorben. Auf einmal stieg eine freudig traurige Tröstung in ihr auf: Seb ist krank, er kann nicht kommen, aber warum schreibt er nicht, und läßt nicht schreiben? Vielleicht hat ihn ein jäher Tod ereilt, er war ja so übermüthig keck, und seit dem Einsturz des Hauses doppelt verwegen. Zilge glaubte vor zweiflerischem Sinnen und Grübeln vergehen zu müssen. Nicht umsonst wohnte sie in einem Hause, dessen Einsturz man allzeit befürchten mußte.
    Um Fastnacht hörte Zilge, daß der alte Kamerad Sebs, der Maurer in Weitingen, den Sommer über mit Seb gearbeitet hatte und Nachricht von ihm geben könne. Sie übergab ihre Kinder dem Nachbar Küfer, und wanderte im Schneegestöber nach Weitingen. Sie kam mitten in den Faschingsjubel, sie mußte Alles mit traurigem Herzen mit ansehen, denn der Maurer spielte selber eine Rolle darin. Endlich berichtete er ihr mitten unter dem Wirthshauslärm, daß er allerdings bis zum Herbst mit ihrem Manne gearbeitet habe, sie brauche aber nicht traurig sein, denn ihr Mann sei überaus lustig gewesen, und habe gesagt, er gehe noch weiter, vielleicht in die neue Welt, seine Frau habe ihn bis zur Hochzeit lange warten lassen, jetzt könne sie nachher auch sich daran gewöhnen. Zilge bat und beschwor ihn, mit ihr keinen Faschingsscherz zu treiben; darauf ward der Mann böse, ließ sie stehen und mengte sich wieder unter das lustige Gewimmel. Auf dem Heimweg war es Zilge einmal, als müsse sie auch sich in die weite Welt stürzen. Warum war sie allein festgebannt? Waren denn die Kinder nicht so gut die seinen wie die ihrigen? Da überlief es sie plötzlich eiskalt und bis in's Herz hinein schauerte sie, und sie stieß in die schneebedeckte Welt hinein einen gräßlichen Fluch gegen ihren Mann aus. Ein wirbeliges Taumeln, eine Schlafsucht ergriff sie, daß sie mit starren Händen sich die Augen rieb, aber der Schlaf wollte sie überwältigen, schon wollte sie sich niederlegen, da schoß sie auf: schlief sie hier ein, war sie des Todes. »Meine Kinder! Meine Kinder!« rief sie im Weiterschreiten und rannte aus voller Macht dahin, bis sie endlich ihre Schritte mäßigte. Zwiefach arm kehrte Zilge wieder heim, sie war verlassen und von Haß erfüllt. Und doch, als sie von fern ihr Häuschen wieder sah, überkam sie ein gewisses Gefühl der Geborgenheit; draußen ist die Welt so kalt und starr, da ist doch eine warme sichere Stätte, da bist du daheim und mit Fleiß und Ergebung wird sich Alles ertragen lassen. »Gott sei Lob und Dank, daß ich gesund bin,« sprach sie vor sich hin und faltete die starrkalten Hände. Als am Abend der kleine Johannes in sein Nachtgebet den Vater einschloß, fuhr sich Zilge mit der Hand über die sträubenden Haare: das Kind segnete Den, dem sie heute geflucht, der ganze Jammer ihres Lebens sprach sich da aus, Segen und Fluch, Liebe und Haß stritten mit einander. Was wird die Oberhand behalten? ...
    Der Morgen nach einem erfahrenen Ungemach erweckt doppelte Pein, und doch hat sich dabei der erste grelle Schmerz im Schlaf geklärt. Zilge wußte nun, was sie zu ertragen hatte, und nur eine Weile konnte sie sich der schmerzgelähmten Mattigkeit hingeben, die Alles absichtlich noch mehr verkommen läßt und sich fast dessen freut, daß Schlag auf Schlag das Schicksal peinigt.
    Am ersten Sonntag, nachdem sie die Gewißheit ihres Unglücks hatte, durchblätterte sie das Gesangbuch hin und her, endlich stand sie auf und sagte:
    »Da stehen Lieder und Gebete für alle Leiden und Krankheiten, für meines nicht; das ist unerhört, das hat noch keine

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