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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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ziehenden Wolken, so zieht es ihn unwillkürlich mit fort, hinein, hinauf in das wogende Wolkenmeer, und die Wolken treiben ein falsches Spiel, sie nehmen ihn nicht auf, die Erde läßt ihn nicht und zieht ihn zerschmettert zu sich nieder.
    Das aber thut sie auch, wenn der in der Höhe Schwebende hinabschaut auf die Erde, sein Fuß gleitet und er stürzt und zerschmettert.
    Seb mußte immer an jenen grausenhaften Augenblick denken, wenn er bald zwischen Himmel und Erde schweben wird, er greift aus und nirgends ein Halt, nirgends als im Tod ...
    Den Blick auf das Nächste geheftet, arbeitete Seb weiter, und das ist die sicherste Gewähr, man steht fest, als stände man auf ebenem Boden. Wie der Blick am nächsten haftet, so hat auch der ganze Körper eine Ruhe und Sicherheit an ihm.
    Tagelang war Seb auf dem Kirchthurm, und seine unheimlichen Gedanken verließen ihn nicht. Das alte Uhrwerk im Thurm, das im Innern mit einem Bretterdache gedeckt war, schnurrte und surrte, und wenn es eine Stunde anschlug, dröhnte es Seb durch Leib und Seele, aber immer sah er keinen andern Ausweg als den jähen Tod. Er liebte sein Weib und seine Kinder, aber er sagte sich, daß er ihr Elend nicht ertragen könne, und dazu noch die Unmacht ihnen zu helfen; starb er, und starb er im Dienste der Gemeinde, so mußten gute Menschen, ja die Gemeinde mußte sich der Verlassenen annehmen; bei eignen Lebzeiten wäre das nie geschehen, und er hätte das nie ertragen. Das stand fest.
    Der Küster rief eines Mittags Seb in die Glockenstube, er mußte zu einem Leichenbegängnisse läuten und fürchtete, daß es dem auf dem Thurme Arbeitenden Schaden thun könne. Seb stand in der Glockenstube, und um und um umdröhnt von den gewaltigen metallenen Klängen rannen ihm die Thränen aus den Augen und er wischte sie mit harter Hand ab.
    Als er wieder auf das Dach stieg, war es ihm, als müßte er jetzt sein Schicksal vollenden, aber der über dem Abgrund schwebende Geist wird oft an unscheinbar dünnen, seltsam verschlungenen Fäden gehalten. Die Leute sollten nicht sagen, der Seb habe weder eine Grundmauer legen, noch einen Thurm decken können; seine Handwerksehre mußte für ewige Zeiten feststehen; er wollte nicht von einer halbfertigen Arbeit sich davonmachen. Er legte jeden Ziegel und strich jede Kelle Mörtel fest, daß sie für die Ewigkeit haften. Trauernd sollten die Menschen bekennen, was der Seb für ein Mann gewesen.
    Daheim redete Seb fast gar nichts, es war ihm unheimlich bei Weib und Kindern, er kam sich wie ein Gespenst vor, das hier noch umwandelte, er hatte sie ja verlassen, er verließ sie ja bald.
    Am letzten Morgen ließ Seb von dem Küster die Thurmuhr stellen, er behauptete, daß er heute das Summen und Surren und gar das Schlagen nicht vertragen könne. Lautlose Stille lag nun über dem ganzen Dorf, als Seb auf das Thurmdach heraustrat, und wie heute keine Stunde schlug, so mußte Alles still daran denken, in welcher gefahrvollen Lage heute Seb schwebte.
    Er war noch nicht lange an der Arbeit, als er plötzlich ein Klappern hörte, er schaute sich um – der Storch war mit seinem Weibchen angekommen und zeigte ihm unter seltsamem Verbeugen und in die Brust werfen das neu hergerichtete Haus und die ringsum frühlingsgrüne Welt; das war ein Schnattern und Klappern und ein bedächtig fröhliches Gethue, und jetzt flogen die Wandervögel auf. Halt! fast wäre unfreiwillig zur Wahrheit geworden, was Seb so lange als Vorsatz im Sinne hatte, er war ausgeglitten, er hielt sich nur noch am Vorsprunge fest. Er hatte dem Fliegen des Storchenpaares zugesehen, wie sie so wohlig in der Luft schwimmen, und ohne sich zu stoßen und zu schwingen ruhig schweben und wieder in schiefen Bogen in's Nest sich senken.
    Als sich Seb wieder aufrichtete, belebte ihn plötzlich ein neuer Gedanke: er hatte den Tod überwunden, er wollte leben und Zilge und dem Dorf zeigen, was er vermag; sie sollten eine Weile noch schlechter von ihm denken, dann aber – – Seb hielt sich mit beiden Händen fest und schaute hinaus in die weite mit Blüthenbäumen besäte Welt und in den blauen Himmel.
    Lange schweifte sein Blick in der Landschaft umher, mit neugeborner Lust sie erschauend: dort drüben steht der Gemeindewald auf dem Berg, und hinter dem Berg thürmen sich andere, und Felder und Dörfer breiten sich weitaus, und näher! Wie still stehen die Bäume im wogenden Korn und als grüne Bänder ziehen sich die Gartenhecken dorthin, und dort das kleine Geschöpf,

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