Schwarzwaelder Dorfgeschichten
Menschenseele erlebt.«
Zilge erinnerte sich jetzt, daß ihr Mann ihr die Gemeindeversorgung in Aussicht gestellt; ihr Ehrgefühl und ihr Stolz erhob sich, sie wollte der Welt zeigen, wer sie sei, und es erschien ihr als eine erquickende Rache an Seb, er mußte es doch einst erfahren, daß sie ohne ihn das Haus im Stand gehalten, sein böser Vorsatz, sie in's Elend zu stürzen, sollte zur Lüge werden. Allem, was Zilge nun sann und unternahm, lag das Gefühl des Hasses gegen ihren Mann zu Grunde, sie verschloß das aber in sich vor fremden Menschen, nur manchmal konnte sie nicht umhin, gegen die Kinder ihrem Herzen Luft zu machen.
Der Frühling kam, er brachte keine Wasserfluthen mehr, die Störche waren wieder da und ein Schwalbenpaar nistete wieder über dem Fenster Zilge's. Zilge lebte ruhig und still. Nur zwei Vorkommnisse plagten sie vielfach. Wenn sie über die Straße ging, fragte sie Jedermann: »Hast noch keine Nachricht von deinem Seb?« Die Menschen hielten sie für herzlos, weil sie nicht Jedem den Gefallen that, mit der ganzen Ausbreitung ihres Kummers darauf zu antworten, und man glaubte es ihr doch nicht, daß Seb nicht in heftigem Zank von ihr gegangen sei. Ja, Manche glaubten ihr Mitleid nicht anders bezeigen zu können, als indem sie ihr vorhielten: »Wie wird's deinen armen Kindern gehen, wenn du einmal krank wirst?« Am erbittertsten war aber Zilge, wenn man ihr vorwarf, wie unklug es von ihr gewesen, daß sie sich ehedem nicht besser in die Launen der Küferin gefügt hatte, sie wäre an Kindesstatt angenommen und Haus und Aecker der Küferin wären nicht verfremdet worden an die Verwandte von Weitingen.
Viel schwerer konnte Zilge der Störung ihres Bruders, der nach der nahen Amtsstadt versetzt war, widerstehen; er wußte seine Schwester nicht anders zu trösten, als indem er Feuer und Flammen gegen Seb spie und ihm alles Schlechte nachsagte, und dazu hatte er noch Streit mit Zilge, weil sie das nicht dulden wollte. Er schwur, Seb »mit Gusto« krumm zu schließen, wenn er ihn fahnde; er prahlte mit seiner Kenntniß des Amtsstyls, indem er ihr den Steckbrief vorsagte, den er gegen Seb erlassen wolle, aber Zilge behauptete, daß Niemand dazu ein Recht habe, als sie, und der Bruder kam mit der Zeit oft in's Dorf, ohne sie heimzusuchen. Der Pfarrer kam auch bisweilen zu Zilge und lobte sie wegen ihrer milden Ergebung und ihrer ehrenhaften Thätigkeit. Sie nahm das Letzte, das sie verdiente, eben so an, wie das Erste, das sie nicht verdiente. Niemand sollte wissen, was in ihr vorging.
Die traurigste Zeit war für Zilge Pfingsten und die hellen Sommersonntage. Da sitzen Nachmittags die Frauen unter einem Nußbaum, oder vor einem Hause auf der Bank und plaudern allerlei. Zilge war so viel allein, daß sie an diesen Tagen sich auch zu den Menschen gesellen mußte, aber sie wußte nicht wohin; sie gehörte nicht zu den Mädchen, nicht zu den Frauen und nicht zu den Wittwen. Das stille ewige Insichhineinleben hatte ihre Empfindung krankhaft geschärft, und jetzt gab ihr doch die Welt eine, wenn auch nicht wohlthuende Heilung. Zilge gewahrte bald, wie die Unempfindlichkeit und Theilnahmlosigkeit der Menschen doch auch ihr Gutes hat. Die Welt nahm ihr Schicksal viel unbefangener, viel nüchterner: sie ist eine verlassene Frau, das ist schon oft dagewesen, und wird noch mehr kommen. Diese Nüchternheit der Welt hat Anfangs etwas furchtbar Erkältendes, allmählig stellt sich aber die Erkenntnis ein, daß die Welt fremdes Ungemach alsbald so faßt, wie man es im Verlauf der Zeit doch auch selber auch nehmen kann und muß. Zilge war anfangs erstaunt, daß man sie nicht darüber schalt und höhnte, sondern es natürlich fand, wenn sie auch einmal unwillkürlich lachte und scherzte, und manchmal erschien es ihr selbst, als ob ihr Ungemach gar kein so außerordentliches wäre. Man sprach von Wiedergekehrten, und wie doppelt glückselig die Menschen dann miteinander wurden. Wenn Zilge das hörte, gab es ihr einen Stich durch's Herz: ein heimliches Labsal, der Haß gegen ihren Mann sollte ihr dadurch entrissen werden, und doch konnte sie sich des Einflusses nicht erwehren. Es gab Stunden, wo ihre Wangen glühten, und sie sich dachte, daß sie ihren Mann mit offenen Armen empfangen würde, und wieder andere, wo sie die Zähne knirschte und ihn erwürgen wollte, wenn sie ihn wiedersah.
Von Zeit zu Zeit klopfte Zilge die Sonntagskleider ihres Mannes aus, die er daheim gelassen hatte. Die Leute riethen ihr, diese
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