Schwarzwaelder Dorfgeschichten
Noch heute könne er in mächtigen Zorn gerathen, wenn er auf einen Acker komme, der Erdmuthe gehören sollte, und der nun in fremdem Besitze sei. Erdmuthe wagte es kaum, leise ein Wort über diese zähe Habsucht zu äußern, da faßte sie Bläsi mit starker Hand und sagte, daß er nie an den verschwenderischen Leichtsinn ihres Vaters gedenken wolle, daß sie dafür aber auch seinem Vater nichts Böses nachtragen und ihn ehren und hochhalten müsse. Erdmuthe versprach das gern und bat nur, daß sie sich der Mutter oder der Schwester zu erkennen geben dürfe, es drücke ihr das Herz ab, daß sie mit Niemand von sich selber reden könne. Auch hiegegen bestand Bläsi darauf, daß es ihr genügen solle, wenn er allein wisse, wer sie sei, sie brauche sonst Niemand; und hingegeben in treuer Liebe sagte Erdmuthe, daß sie gern Buße thue, weil sie ihn verlassen hatte, daß sie ihm allein angehöre und ihn fortan um nichts mehr bitten wolle, bis er selber finde, daß es Zeit sei.
In stiller Umarmung hielten sich die beiden Liebenden, bis daß der Morgenstern am Himmel erblich.
Die neue Ruth.
Das ganze Jahr ist der Feldbau eine in gleichmäßigem Schritt gehaltene stetige Arbeit. In der Heuet, noch mehr aber in der Ernte wird sie plötzlich zur Leidenschaft, es ist ein gehetztes Treiben, jede Stunde, jede Arbeitskraft, jedes Fahrzeug ist unersetzlich, man jagt im Galopp auf klapperndem Wagen die Straße hinauf, biegt feldein, wo die Räder sich still umdrehen, fährt knallend mit geladenem Wagen in's Haus zurück, um dann auf's Neue hinaus zu eilen, wo die gebundenen Garben harren. Selbst die Essenszeit, der sonst so gewissenhaft eingehaltene Ruhepunkt, ist draußen im Felde von Hast nicht frei, so sehr man sich auch gegenseitig ermahnt, die Hast nicht aufkommen zu lassen.
Das aber ist ein schönes Kennzeichen der Menschennatur, daß das Herz sich um so freudiger bewegt inmitten aller Arbeitsmühen, daß ein gutes und heiteres Wort nie erfrischender in die Seele fällt, daß ein Bissen nie besser mundet, daß man nie mehr zu einer, wenn auch flüchtigen doch innigen Begegnung mit den Nebenmenschen aufgelegt ist, als bei solcher angespannten Thätigkeit. Alle Tugenden und Lebensfreuden sprießen frei in ihr auf, und jener uralte Fluch ist zum Segen verwandelt, erst durch die Arbeit ist der Mensch zum Menschen geworden.
Wie der Morgenthau erfrischend auf Busch und Halm lag, so ruhte auch ein erquickliches Gefühl im Herzen Aller, die vom Hause Gottfrieds mit den Sicheln hinausschritten in das Feld. Bläsi ging voran mit den Männern, die Frauen hinter ihnen drein mit Körben und Krügen an der Hand. Man ging eine geraume Strecke wortlos, da machte ein Scherz Traudle's Alles lachen. Sie sagte: »Wann sind die Bauern am stärksten?« Niemand wußte eine Antwort und Traudle erklärte: »Vor der Ernt', da können sie all' ihre (wenige) Frucht auf dem Buckel in die Mühle tragen.« Es bedurfte nur dieses leisen Anstoßes, um die Allen inwohnende Heiterkeit Schlag auf Schlag zur Offenbarung zu bringen. Andere schlossen sich der Gruppe eine Strecke Weges an, und das Lachen und Necken tönte hell über die schnittreifen Feldbreiten. Als die Gottfriedischen in die Nähe des Gerstenackers kamen, der zuerst angeschnitten werden sollte, schimpfte der Knecht, weil der Anwänder (Nachbar), es war der Vater des lahmen Klaus, keine Anstalt getroffen, daß man durch seinen Acker auf den eigenen kommen konnte.
»Wir machen Luft,« sagte Erdmuthe und legte zuerst ihre Sichel an die Aehren, und Bläsi bestätigte:
»Sie hat Recht; zuerst für einen Andern arbeiten, das bringt Segen.«
Es konnte kein besseres Liebeswort Bläsi's geben, als daß er das, was Erdmuthe früher ausgesprochen, hier sogleich anwendete. Fast nur in langsamerem Schritte weiter schreitend, legte man nun einen breiten Weg durch den Acker des Anwänders nieder, bis man zu dem eigenen kam. Die Frauen schnitten immer zwischen den Männern drein den schrägen etwas schmäleren Streifen, den sie zwischen einander stehen ließen, sie selber mit ihrer stärkeren Kraft nahmen größere Breiten, oder wie man hier zu Lande den Ausschnitt nennt, den ein Jeder macht, einen größeren Jaun. Erdmuthe, die zwischen Bläsi und dem Knechte war, legte mit einer Leichtigkeit und Behendigkeit die Aehren nieder, daß es schien, als habe sie eine Zaubersichel, sie kam den andern vorauf, vollendete zuerst den Jaun und rief, die Sichel hoch hebend: Juchhe! daß es weithin schallte und
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