Schwarzwaelder Dorfgeschichten
Bauer. Er war früher Unteroffizier gewesen und bildete sich große Stücke auf seine »Charge« ein; er behandelte gern alle Bauern, ältere und jüngere, wie Rekruten. Auf dem Wege sagte er zu Aloys: »Tolpatsch, du ziehst gewiß das größte Loos, und wenn du auch Numero 1 ziehst, du brauchst nicht bang sein, dich kann man nicht zum Soldaten brauchen.«
»Wer weiß,« sagte Aloys keck, »ich kann noch so gut Unteroffizier werden, wie Einer; ich kann so gut lesen und schreiben und rechnen, wie Einer, und die alten Unteroffiziere haben auch nicht allen Verstand gefressen.«
Der Schultheiß sah ihn grimmig an.
Als Aloys vor das Rad hinging, war seine Haltung fast herausfordernd keck. Mehrere Loose kamen ihm in die Hand, als er in das Rad griff; er drückte die Augen fest zu, gleich als wolle er nicht sehen, was er nehme, und zog eines heraus; zitternd reichte er es hin, denn er fürchtete, daß es eine hohe Nummer sein könne. Als er aber den Ausrufer »Numero 17« rufen hörte, da johlte er so laut auf, daß man ihn zur Ruhe verweisen mußte.
Die Burschen kauften sich nun Sträuße aus gemachten Blumen mit rothen Bändern daran, und nachdem sie noch einen tüchtigen Trunk genommen, zogen sie heimwärts. Unser Aloys johlte und sang am lautesten.
Oben an der Steige harrten die Mütter und viele Mädchen der Ankömmlinge, auch Marannele war darunter. Aloys, mehr vom Lärmen als vom Weine trunken, ging etwas unsicher Arm in Arm mit den Anderen. Diese Zutraulichkeit war noch nie vorgekommen, aber heute waren sie alle gleich. Als die Mutter die Nummer 17 an der Mütze ihres Aloys stecken sah, da weinte sie und rief ein Mal über das andermal: »daß Gott erbarm! daß Gott erbarm!« Das Marannele fragte den Aloys bei Seite: »Wo hast du denn meinen Kreuzer?« – »Ich hab' ihn verloren,« sagte Aloys, aber trotz seiner halben Unbewußtheit schnitt ihm diese Lüge doch tief in die Seele.
Die Burschen zogen nun singend in das Dorf, und die Mütter und Mädchen der muthmaßlich »Gezogenen« gingen weinend hinterdrein und trockneten sich mit den Schürzen die Thränen. – –
Es waren noch sechs Wochen bis zur Visitation, und darauf kam ja eigentlich Alles an. Mutter Marei nahm einen großen Ballen Butter und einen Korb voll Eier und ging zu der Frau Doktorin; die Butter schmierte sich trotz des kalten Winters doch recht gut, Mutter Marei erhielt die Versicherung, daß ihr Aloys frei werden solle; »denn,« sagte der gewissenhafte Arzt: »der Aloys ist ja ohnehin untauglich, er sieht ja nicht gut in die Ferne, und darum ist er ja manchmal so tappig.«
Der Aloys aber kümmerte sich gar nicht um all diese Geschichten, er war ganz verändert, schwenkte sich und pfiff immer, wenn er das Dorf hinaufging.
Der Tag der Visitation kam, die Burschen gingen dießmal etwas stiller nach der Stadt.
Als Aloys in das Visitationszimmer gerufen wurde und er sich entkleiden mußte, da sagte er keck: »Knusperet mich nur aus, ihr werdet kein Unthätele an mir finden; ich hab' keinen Fehler, ich kann Soldat sein.« Er mußte sich unter das Maß stellen, und da er es vollauf hatte, wurde er als Soldat eingetragen; der Arzt vergaß Kurzsichtigkeit, Butter und Eier bei der kecken Rede des Aloys.
Jetzt, als es Ernst geworden und er unwiderruflich Soldat war, jetzt wurde es dem Aloys so bang, daß er hätte weinen mögen. Als er aber vom Oberamte herabkam und seine Mutter sich weinend von den steinernen Stufen erhob, da richtete sich sein Stolz wieder auf, und er sagte: »Mutter, das ist nicht recht, Ihr müsset nicht greinen; bis in einem Jahr bin ich wieder da, und unser Xaver kann schon dieweil das Sach' im Feld schaffen.«
Nach der erlangten Gewißheit ihres Soldatenstandes brachten die Burschen mit Trinken, Singen und Johlen ein, was sie zuvor zu wenig gethan zu haben glaubten.
Als der Aloys heim kam, gab ihm das Marannele weinend einen Rosmarinstrauß mit rothen Bändern daran und nähte ihm denselben auf seine Mütze. Aloys aber zog seine Pfeife heraus, rauchte flott durch das ganze Dorf hinauf und zechte mit seinen Kameraden bis tief in die Nacht.
Noch ein dritter schmerzlicher Tag war zu überwinden, es war der Tag, wo die Rekruten nach Stuttgart einrücken mußten. Aloys ging früh in des Jakoben Haus, das Marannele war im Stall, es mußte jetzt selber alle Arbeit verrichten; Aloys sagte: »Marannele, gib mir dein' Hand;« sie gab sie ihm, und er sagte wieder: »versprich mir, daß du nicht heirathest, bis ich wieder komm'.«
Weitere Kostenlose Bücher