Schwarzwaelder Dorfgeschichten
fröhlich und laß dich's nicht zu arg keien 1 , das Ehingen ist ja auch nicht aus der Welt. Huuf Falb.« Er führte das Pferd an das Wägelchen, und Ivo ging zu seiner Mutter.
Als er sie so jämmerlich weinen sah, unterdrückte er seinen Schmerz und sagte:
»Müsset nicht so jammern, das Ehingen ist ja nicht aus der Welt, und bis Ostern komm' ich wieder, da wollen wir aber lustig sein, hui!«
Schmerzlich preßte die Mutter ihre Lippen zwischen die Zähne, dann beugte sie sich zu Ivo nieder, umfaßte ihn und küßte ihn und »bleib fromm und gut,« das waren die letzten Worte, die sie hervorschluchzte; dann stieg sie auf den Wagen, der Falb zog an, das Thier schaute sich nochmals um, als wollte es auch von Ivo Abschied nehmen, der Nazi winkte noch einmal mit dem Kopfe, und fort rasselten sie.
Ivo stand da, die Hände in einander gelegt, gesenkten Hauptes. Als er den thränenschweren Blick emporrichtete und nichts von seinen Lieben mehr sah, da trieb es ihn mit zauberischer Gewalt, er rannte dem Wägelchen nach vor die Stadt, und da sah er es von ferne auf der weißen Straße dahineilen. Er blieb stehen und kehrte dann in die Stadt zurück: da waren alle Menschen so froh und zu Hause, nur er war fremd und traurig. Draußen aber auf dem Wägelchen nahm die Mutter ihr »Nuster 2 « in die Hand und betete: »Liebe heilige Mutter Gottes! Du weißt, was Mutterliebe ist, du hast es in Schmerzen und Freuden empfunden. Beschütze mein Kind, es ist mein Herzblättchen. Und wenn ich eine Sünde damit thue, daß ich ihn so lieb hab', laß die Schuld mich entgelten und nicht ihn!«
Als Ivo in das Kloster zurückkam, mußte er sogleich wieder in die Mittagskirche; aber er konnte diesmal keine Andacht finden, er war zu abgemattet, sein Herz zitterte zu sehr. Er war zum erstenmale in der Kirche, ohne zu wissen, daß er darinnen sei; gedankenlos sang, gedankenlos hörte er.
Schon in diesem einzigen Umstande liegt ein Ergebniß der nunmehr eintretenden Lebensweise; die eigene Willensbestimmung trat zurück, Befehl und Gesetz herrschte.
So ward nun das Leben unseres Ivo ein gesetzmäßiges strenges Einerlei, und wenn wir den Verlauf eines Tages kennen, kennen wir die andern alle.
Die Knaben schliefen in großen Sälen unter Aufsicht eines Repetenten.
Morgens halb sechs Uhr wurde geläutet; der Famulus kam, zündete die an der Decke hängende Laterne an, und nun mußte Alles in die Kirche zum Gebet; dann ging es zum gemeinsamen Frühstück, worauf die Privatarbeit begann, bis um acht Uhr, da der Unterricht seinen Anfang nahm; von diesem ging es zum gemeinsamen Tische, nach welchem man eine Stunde »Recreation« hatte, d.h. unter Aufsicht spazieren ging. Nach dem hierauf mehrstündig fortgesetzten Unterrichte durften die Knaben eine Weile im Hofe spielen, aber auch hier fehlte das offene Auge des Aufsehers nicht. Wie schon der beschränkte Raum die Unfreiheit anzeigte, so war diese auch inmitten des »freien« Spiels; nirgends eine selbstgeschaffene, ungebundene Freude, und vor Allem nie ein still in sich gehegtes Alleinsein .
Zu Hause war Ivo wie das Kleinod der Familie gehalten worden: wenn er in der Stube bei seinen Büchern saß, sorgte die Mutter behutsam, daß sich kein Lärm und kein Geräusch in seiner Nähe finde, fast niemand durfte die Stube betreten, und es war, als ob drinnen ein Heiliger geheimnisvolle Wunder vollführe; hier aber, wenn es nach dem Nachtessen nochmals zur Privatarbeit ging, regte sich bald da, bald dort einer und pisperte, wenn auch nur leise; Ivo konnte sich nicht enthalten, darauf hinzuhorchen, und er arbeitete lässig.
Wer es weiß, welch unergründliche Macht oft die Seele durchdringt, die einsam mit sich in ihren eigenen Gedanken sich spiegelt, oder fremde Gedanken in sich aufnimmt; wer jenen lautlosen Geistesverkehr kennt, der sich still ausbreitet, wie die Blume sich geräuschlos entfaltet, der wird den Schmerz Ivo's mit empfinden, daß er nun gar nicht mehr allein war. Er gehörte nicht mehr sich selber, er gehörte unaufhörlich einer Genossenschaft an.
Um neun Uhr läutete es wieder zum allgemeinen Gebet, worauf Alles sich zur Ruhe begeben mußte.
Erst jetzt wurde Ivo sich selber wiedergegeben, und er flüchtete sich in Gedanken zu den Seinigen, bis der Schlaf alles zudeckte.
So kam sich Ivo in den ersten Tagen wie verkauft vor, denn nirgends war mehr freier Wille, alles Verordnung und Gebot; eine grausame Erfahrung stand vor seiner Seele: die Unerbittlichkeit des Gesetzes .
Es ist
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