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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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Abschiedes, und eine zitternde Bangigkeit breitete sich über sein ganzes Wesen aus; doch war er froh, daß seine Mutter mit Nazi und dem Falben ihn noch begleiten wollten. Nachdem er von dem Kaplan, von den Kameraden in Horb und von der Frau Hanklerin Abschied genommen, begann er schon drei Tage vor der Abreise seinen Rundgang durch das Dorf. Alles wünschte ihm von Herzen Glück, denn jedes wollte ihm wohl und pries die Eltern eines so schönen und trefflichen Knaben glücklich. Hier und dort erhielt er auch ein Geschenk, ein Sacktuch, ein Paar Hosenträger, einen Beutel und sogar etwas Geld; letzteres scheute sich zwar Ivo anzunehmen, denn als Kind reicher Eltern schien es ihm fast beleidigend, aber er dachte wieder: die Geistlichen müssen Geschenke annehmen, und freute sich kindisch mit den neuen Sechskreuzerstücken. Der Rundgang durch das Dorf war schneller beendigt, als Ivo gedacht hatte. Er ließ sich nun vor den Häusern, in denen er bereits Abschied genommen, nicht mehr sehen; denn es liegt eine unangenehme Empfindung darin, Leuten, denen man bereits feierlich und auf lange Lebewohl gesagt, wieder so bald danach unter die Augen zu treten, es ist, als ob ein tiefes Gefühl dadurch verwischt würde, und als ob man eine übernommene Schuld noch nicht getilgt habe. Ivo blieb daher fast wie ein Gefangener zu Hause, verweilte bei seinen Tauben, nahm von ihnen und all den stillen Plätzchen feierlichen Abschied.
    Am Abend vor der Abreise ging er in das Haus der Emmerenz, um Ade zu sagen. Emmerenz brachte ihm etwas in ein Papier gewickelt und sagte: »Da, nimm's, es ist eins von meinen Geitle.« Obgleich Ivo keinen Widerspruch machte, sagte sie doch: »Nein, du mußt's nehmen. Weißt du noch, wie ich's von der Hohlgasse 'reingetrieben hab'? Da sind sie klein und wunzig gewesen, und du hast ja auch Futter für's gesammelt; nein, nimm's nur, das könnet ihr morgen auf dem Weg verzehren.«
    In der einen Hand hielt Ivo die gebratene Ente, die andere reichte er Emmerenz und ihren Eltern zum Abschiede. Mit schwerem Herzen ging er dann nach Hause. Hier war Alles in großer Geschäftigkeit, man wollte heute nacht um ein Uhr fort, damit man noch »zeitlich« nach Ehingen käme. Auf der Ofenbank saß ein Waisenknabe aus Ahldorf, der ebenfalls in das Kloster eintreten sollte; neben ihm lag in einem blauen Kissenüberzuge sein Bündel. Ivo vergaß seinen eigenen Schmerz über dem Mitleid mit dem Waisenknaben, den niemand begleitete, der, allein und verlassen, auf gute Leute bauen mußte. Da er keinen andern Trost bei der Hand hatte, hielt er ihm die Ente unter die Nase und sagte: »Guck, das essen wir morgen mit einander. Gelt, du ißt doch auch gerne ein gut's Schlegele oder ein Stückle von der Brust?« Er sah hierbei ganz fröhlich aus, und um dem Fremden die volle Gewißheit seines Antheils zu geben, sagte er: »Da hast's, kannst's in deinen Bündel thun.« Die Mutter wehrte dieß ab, weil sonst die Kleider beschmutzt würden.
    Man ging früh in's Bette. Der Waisenknabe, Bartholomä genannt, schlief in Nazi's Bett, da dieser aufbleiben mußte, um den Gaul zu füttern und dafür zu sorgen, daß man nicht verschlafe.
    Als Ivo schon zu Bette lag, kam die Mutter nochmals, leisen Schrittes. Sie hielt die Hand vor das Licht an der Oellampe, die sie trug, um den etwa Schlafenden nicht zu stören; Ivo aber wachte noch, und die Mutter sagte, indem sie behutsam die Decke unter seinem Kinn festlegte, und dann mit der Hand über seinen Kopf fuhr: »Bet auch recht, dann schlafst du gut. Gut Nacht.«
    Ivo weinte bitterlich, als seine Mutter fort war. Wie eine Lichtgestalt war sie verschwunden, und er lag wieder in dichter Finsternis. Es war ihm, als wäre er schon fern in ödem, fremdem Haus; dann dachte er wieder, daß morgen seine Mutter nicht mehr zu ihm käme, und er schluchzte in die Kissen hinein. Er dachte an Emmerenz und an alle Leute im Dorfe, er hatte sie alle so lieb, er konnte sich gar nicht vorstellen, wie sie es denn machen würden, wenn er nicht zu Hause wäre, ob denn noch Alles gerade so fortginge wie gestern; er meinte, alle Leute müßten ihn so entbehren, wie er sich nach ihnen sehnte; in das Leben aller müßte sein Weggehen so tief eingreifen, wie in das seinige; er weinte um sich und um die andern, und seine Thränen flossen unaufhaltsam. Endlich raffte er sich auf, faltete die Hände und betete laut, mit einer Inbrunst, als ob er Gott und alle Heiligen leibhaftig an sein Herz drücke; dann schlief er sanft

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