Schwarzwaelder Dorfgeschichten
eine folgerechte Anordnung jeglichen äußerlich fest bestimmten Kirchentums, daß es schon frühe seinen Zöglingen die Fruchtbarkeit des freien Willens ausschneidet und all ihr Thun und Denken in die unbeugsamen Gesetze einjocht.
Die höchste Aufgabe der Bildung ist aber die Erziehung zur Pflicht, zur Erfüllung des Gesetzes, das wir in der Erkenntniß finden.
Voll Trübsal ging Ivo umher, und es bedurfte nur eines harten Wortes, um die Tränen aus seinen Augen hervorzulocken. Das merkten sich einige lose Kameraden, und sie neckten ihn auf allerlei Weise. Es waren mitunter rohe, häßliche Gesellen, die, aus einem niedrigen Hauswesen gekommen, sich bei der guten Kost und der Fürsorge für Alles behaglich fühlten. Sie merkten, daß Ivo ekel sei, und sprachen bei Tische allerlei ekelerregende Dinge, so daß Ivo oft ohne einen Bissen zu essen aufstand.
Die Vorsorge der Mutter bei der Speisemeisterin kam ihm jetzt sehr zu statten.
Das Vielregieren erzeugt überall ein Umgehen des Gesetzes, das die Wächter ohne strenge Ahndung geschehen lassen müssen, und so hatten mehrere Knaben außer dem, was sich wie durch eine geheime Ueberlieferung forterbte, bald allerlei Schliche und Winkelzüge zu größerer Freiheit ersonnen; Ivo aber nahm keinen Teil daran, ebensowenig wie an den geheimen Possen, die man mitunter den Lehrern und Aufsehern spielte – er war still und allein.
Der erste Brief an seine Eltern mag uns seine Lage zeigen; er lautet:
»Liebe Eltern und Geschwister!
Ich wollte nicht eher schreiben, als bis ich mich hier eingewöhnt hatte. Ach! ich habe in diesen drei Wochen so viel erlebt, daß ich wähnte, ich würde sterben. Wahrlich! wenn ich mich nicht geschämt hätte, wäre ich wahrhaftig wieder heimgelaufen. Ich dachte oft daran: es ging mir, wie unserer Allgäuerin, die fraß auch nichts, bis sie sich an das andere Vieh gewöhnt hatte. Wir haben hier gutes Essen, jeden Tag außer Freitag Fleisch, und am Sonntag auch Wein. Die Frau Speisemeisterin that mir viel Gutes; zu der Tranbenwirthin darf ich nicht hingehen, da der Besuch von Wirthshäusern uns unerlaubt ist. Ach! wir sind überhaupt sehr streng gehalten – – Wir dürfen nicht einmal allein spazieren gehen, mittags eine halbe Stunde. O! wenn ich nur auch als Flügel hätte, daß ich zu Euch hinfliegen könnte. Am liebsten ist mir's, wenn wir auf den Weg spazieren gehen, wo wir herein gefahren sind, da denke ich an die grüne Zukunft – – wo ich auch diesen Weg in die Vacanz gehe. Es ist hier auch 3 sehr kalt. Schicke mir doch ein wollenes Unterwams, liebe Mutter, vorn auf der Brust grün ausgeschlagen. Es friert mich hier viel mehr, als da ich nach Horb ging; da konnte ich machen, was ich wollte, hier bin ich gar nicht mein eigen. Ach! mir ist der Kopf oft so schwer vom Weinen, daß ich wähne, ich würde krank werden. Liebe Mutter, betrübe Dich aber nicht zu sehr, es wird schon besser gehen, und ich befinde mich auch sonst recht wohl; ich muß aber doch mein Herz vor Dir ausschütten. Ich will gewiß recht fleißig sein, da wird mit Gottes Hülfe Alles gut gehen; ich vertraue auf ihn, auf unsern Heiland, auf die heilige Mutter Gottes und auf alle Heiligen, es hielten es ja auch schon andere vor mir aus. Seid also recht vergnügt, habt einander recht lieb! Denn wenn man fort ist, da fühlt man's, wie lieb man sich haben soll, während man bei einander ist; ich wäre jetzt gewiß nie streitig oder unzufrieden, und das liebe Gretle würde mich nicht mehr zanken. Lebet wohl, grüßet mir alle gute Freunde, ich bin Euer lieber Sohn
Ivo Bock.
Postscriptum.
Liebe Mutter! Es kam auch ein neuer Repetent an, nämlich des Schneider Christle's Gregor, er hat aber nicht seine Schwester, sondern eine fremde Person bei sich. Macht, daß der Schneider Christle an ihn schreibe, er solle sich um mich annehmen.
Lieber Nazi, ich grüße Dich von Herzen, ich denke auch recht oft an Dich. Man sieht hier fast lauter blaues Allgäuer Vieh, und wenn ich einen Bauer auf dem Feld arbeiten sehe, möchte ich immer gerade hin springen und ihm helfen. Der Speisemeister hat auch Tauben, aber er thut sie alle ab auf den Winter! – Der Bartel wohnt nicht mit mir auf einer Stube, er ist sehr zufrieden, er hat es nie besser gehabt; er hat auch keine so liebe, gute Mutter und auch keinen so Vater, wie ich. Wenn ich nur einen rechtschaffenen Kameraden hier hätte –
Man darf hier auch Besuche Abends in Familien machen, es gehen viele dahin, aber ich
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