Schwarzwaldstrand
entscheidenden Vernehmungen gebrauchte. Er hatte wirklich schauspielerisches Talent.
Der Arzt blieb eine Antwort schuldig, schien nun offenbar verstimmt. War er beleidigt? Fühlte er sich in seiner Fachkompetenz angegriffen?
»Wo befindet sich die Leiche denn jetzt?«, ging Winterhalter weiter in die Offensive und schaute die Sprechstundenhilfe an. Die übersetzte.
»Der Doktor sagt, er habe eine Schweigepflicht und dürfe Ihnen keine Auskunft erteilen. Nur den italienischen Behörden.«
»Senta, Signor Winterâ¦alter«, wandte sich der Arzt dann mit ernster Miene noch mal direkt an den Kommissar. Die Sprechstundenhilfe übersetzte fast simultan: »Ich habe die Leiche am Strand untersucht. Nicht Sie. Ich habe Sie gesehen, Sie standen dabei. Warum mischen Sie sich hier ein? Ihre Behauptungen sind absurd.«
Das Wort kostete der Arzt aus: »Assurrrdo!«
»Und jetzt gehen Sie bitte«, übersetzte die Sprechstundenhilfe weiter.
Als Karl-Heinz Winterhalter im Wartezimmer von seiner Frau in Empfang genommen wurde, war er so in Gedanken, dass er auf Hilde erst gar nicht reagierte.
»Karli, wa isch denn?«, fragte sie schon zum zweiten Mal.
»Des war echt eine Pleite«, rutschte es ihm dann heraus.
»Was??«, fragte Hilde Winterhalter einigermaÃen entgeistert.
»Ich mein, er hat nix Bâsonderes gâfunde. Mir ä Spritze verabreicht. Es war nur de Kreislauf. Die Mörderhitze halt. Mir gehtâs scho viel besser.« Winterhalter hatte wieder in seine Rolle gefunden. »Tut fascht gar nimmer weh«, fügte er noch tapfer lächelnd hinzu.
»Karli«, setzte Hilde auf dem Weg zum Auto an. Ihre Stimme schnellte am Ende so gefährlich in die Höhe, als wäre sie gerade über eine Schwarzwälder Skisprungschanze gesaust. »Wa häsch du vorhin mit der Pleite gâsagt?«
»Pleite? Welche Pleite denn?«, gab sich Karl-Heinz völlig ahnungslos. Leider misslang ihm diesmal die schauspielerische Darbietung.
»Also, damit des klar isch: Ich lass mich von dir nit für dumm verkaufe, gell«, monierte Hilde. »Du hasch mit dem Arzt über die dote Frau gâsproche! Du brauchsch des gar nit abstreite. Warâs dir überhaupt schlecht?«
»Natürlich warâs mir schlecht. Ich hab ihn halt beiläufig noch was gâfragt«, wurde der Kommissar immer kleinlauter.
Als Winterhalter das Auto am Wohnwagen geparkt hatte, schwieg Hilde beleidigt.
»Hilde? Soll ich dir än Kaffee mache?«, versuchte Karl-Heinz, die Kommunikation in zuckersüÃem Tonfall in Gang zu bringen.
»Die Leiche macht uns alle noch ganz verrückt«, setzte Hilde Winterhalter schlieÃlich an. »Mir brauchet Entspannung. Dringend. Mir alle. Und ich weià auch wie. Mir machet ä bissle Musik.«
»Musik? Jetzt? Hier?«, fragte Karl-Heinz einerseits erleichtert, da seine Frau nun wieder mit ihm sprach, andererseits sehr erstaunt. »Meinsch du nit, des stört die Nachbarn?«
»Mir machet heut Abend Musik. Zur Zerstreuung. Und zwar für alle. Mir machet Hausmusik. Oder saget mir besser: Zeltplatzmusik.«
»Mit Publikum?«, fragte Winterhalter, der es hasste, vor anderen Leuten zu spielen. Geschweige denn zu singen. Er wurde nie müde zu sagen, dass Hausmusik doch fürs Haus gedacht sei. Doch seine Hilde liebte es, damit aufzutreten.
»Mit Publikum«, wiederholte Hilde Winterhalter demonstrativ. »Und keine Widerrede! De Campingplatzchef, de Herr Antonio, freut sich sicher. Oder hasch du etwa noch immer so schlimmes Bauchweh, Karli?«
»Es geht einigermaÃe«, antwortete Winterhalter tonlos.
Neuigkeiten verbreiteten sich auf dem Campingplatz schnell. Zumal, wenn man die Lautsprecherdurchsagen zu Hilfe nahm.
Und so war es Hilde Winterhalter binnen weniger Stunden gelungen, einen Schwarzwaldabend mit Musik zu organisieren. Der Campingplatzbetreiber hatte gerade eingedenk des tragischen Todesfalls am Strand zugestimmt. Die Camper mussten abgelenkt und bei guter Urlaubslaune gehalten werden.
Eine verantwortungsvolle Aufgabe für das Duo Hilde (Gitarre und Gesang) sowie Karl-Heinz (Akkordeon), das in seinem Heimatdorf Linach schon so ziemlich alle Eingeborenen einmal zur Hausmusik genötigt hatte, und das mit überwiegend groÃem Erfolg.
Jetzt ging man sozusagen international auf Tournee â wenn man ein einziges Konzert am Lido so nennen
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