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Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Titel: Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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hätte. Sie biegt links ab, wir hinterher, und schon sind wir mittendrin. In einem hellen Raum mit vielen Fenstern bis zum Fußboden. Ein Glaskasten mit weißer Kunststoffdecke. Es gibt immer noch Neonlicht, aber das schwache Tageslicht, das durch die großen Fenster fällt, fängt das Neon ein bisschen auf. So geht’s.
    An den quadratischen Tischen, die im Raum verteilt sind, sitzen Leute. Viele Frauen mittleren Alters, diesem komplizierten Alter, wenn die Kinder sich nicht mehr für ihre Mütter interessieren und die Männer auch schon lange ganz woanders sind. Und die Frauen sind allein, nach einem Leben voller Gebraucht-Werden. Diese Frauen sehen immer aus wie ein Volkswagen von 1985. Es sind auch ein paar Männer da. Sie wirken herrisch. Und ein paar jüngere Frauen mit kleinen Kindern, die Kinder sind ungewöhnlich still. Und sie sitzen auf ihren Stühlen. Sie rennen nicht rum oder so.
    An den Wänden hängen bunte Bilder, naives Zeug, und auf den Bildern kleben Sätze: Was bedeutet Gott für Dich? Kannst Du sehen, dass ich gestrauchelt bin? Gott liebt Dich, obwohl Du bist, was Du bist – ein Sünder.
    Ich fühle mich auf der Stelle unwohl. Schuldig. Der Calabretta macht einen Schritt in den Raum hinein. Das Schuldgefühl, das hier durch die Luft wabert, scheint an ihm abzuperlen. Als Italiener ist er da wahrscheinlich ein anderes Kaliber gewohnt.
    »Schönen guten Tag«, sagt er, »Polizei. Wir möchten gerne mit Ihnen reden.«
    Und dann geht er von Tisch zu Tisch, fragt, hört zu, fragt, hört zu. Es sind nur kleine Fragen, die er stellt. Weiche Fragen. Keine Vernehmung. Er will nur wissen, wer Lorraine Tucker war. Ich verstecke mich im Türrahmen und stenografiere im Kopf mit. Das machen wir oft so, das ist unsere Arbeitsteilung in solchen Situationen. Der Calabretta konzentriert sich auf die Fragen, ich mich auf die Antworten: Lorraine Tucker war eine einsame verheiratete Frau, die bei Gott die Antwort auf die Frage suchte, warum ihr Mann so ein Teufel geworden war.
    »Himmel, Calabretta«, sage ich, als wir wieder draußen sind, »was waren das für Leute? Katholiken?«
    »Nein«, sagt er, »das waren Neokatechumenen. Eine ziemlich radikale Truppe innerhalb der katholischen Kirche. Aggressive Missionare.«
    »Was meinen Sie, haben die was mit dem Mord zu tun?«
    »Kann ich mir nicht vorstellen«, sagt er. »Von den Leuten, die da rumsaßen, war keiner zu so was in der Lage. Das war doch Profiarbeit, was in Wilhelmsburg abgeliefert wurde. Und ich glaube, die Leute hier hatten Lorraine ziemlich gern. Walt mochten sie ja wohl nicht so gerne.«
    »Ich bin mir inzwischen ziemlich sicher, dass es niemanden auf der Welt gegeben hat, der Walt Tucker mochte«, sage ich. »Ich glaube, den mochte nicht mal mehr seine Frau. Und nur damit Sie Bescheid wissen: Sie können mich gerne mit in die Rote Flora nehmen und auch sonst überallhin. Aber schleifen Sie mich nie wieder zu diesen Extremisten.«
    *
    Ich gehe am Wohlers Park entlang nach Hause. Auf der Grenze zwischen Sankt Pauli und Altona. Lauschige Ecke. Im Sommer fliegen hier die Bienchen. Jetzt riecht es nach nasser Erde. Der Gehweg ist nicht betoniert, so was gibt’s sonst, glaub ich, nur in den Villen-mit-Garten-Vierteln wie Othmarschen und Harvestehude. Bei uns gibt’s so was auf jeden Fall eigentlich nicht. Sankt Pauli ist gut betoniert, damit man es leichter abwaschen kann. Sankt Pauli ist, was Dreck angeht, wie ein kleines Kind: kann keiner Sauerei aus dem Weg gehen.
    Der weiche Grund unter meinen Füßen fühlt sich matschig an, er gibt bei jedem Schritt nach. Die kalte Luft schneidet mir in die Lungen, ich huste ein bisschen in mich rein. Auch, um sicherzustellen, dass ich noch da bin. Ich war eben bei diesen Kirchenleuten schließlich eine ganze Weile unsichtbar. Dann biege ich in die Thadenstraße ab, es gibt Asphalt, es wird wieder trockener. Hier fängt der Kiez wieder an.
    An der Ecke zur Wohlwillstraße kommt mir ein Typ entgegen. Er hat einen Hund dabei. Der Typ trägt ein Bier, der Hund ein Bajramovic-Trikot. Wir bleiben alle drei kurz stehen, weil wir uns ein bisschen in die Quere gekommen sind. Wir haben Rechts-vor-Links für Fußgänger nicht ganz auf der Pfanne. Der Hund hält seine Nase an meinen rechten Stiefel, pinkelt aber freundlicherweise nicht dran. So wie ich für eine Sekunde darüber nachdenke, ihn zu streicheln, es aber dann doch nicht tue.
    Bajramovic. Der ist auf Sankt Pauli groß geworden und spielt jetzt für Frankfurt. Bei

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