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Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Titel: Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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letztes Mal geblitzt, und weg war er. Ich glaube, Schlindwein ist nicht unbedingt einer, der auch nur einen Moment innehält. Ich mag ihn nicht, er ist sympathiemäßig nicht mein Fall. Aber er brennt. Er scheint über eine Menge Leidenschaften zu verfügen, sich über eine Menge hinwegzusetzen. Er ist nicht gewöhnlich. Und das finde ich gut.
    Ich sage dem Taxifahrer, dass er mich nach Sankt Pauli bringen soll, und schalte mein Telefon an. Sieben Anrufe in Abwesenheit, alle vom Faller. Es ist kurz nach halb elf. Ich rufe zurück, aber er geht nicht mehr ran.
    Das Taxi hält vor unserem Haus, ich zahle, steige aus und schaue an der bröckeligen Jugendstilfassade mit den Millionen Graffiti hoch. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das Haus ein bisschen schief steht. Könnte aber auch daran liegen, dass ich selten komplett nüchtern bin, wenn ich das Haus anschaue. Ich frage mich, wie lange es wohl noch hier bleiben darf.
    Ich gehe schnell über die seltsam traurige Novemberstraße und schließe die Haustür auf. Die Hamburger Luft ist heute Nacht scharf wie eine Rasierklinge.

HAMBURG – ROUBAIX
    D ie Kneipe Zum Kicker ist einer der wenigen Orte, die einem das Rauchen noch leichtmachen. Die mit Holz getäfelten Wände und die tiefhängende Decke sind derartig mit dem Gilb der letzten Jahrzehnte bedeckt, dass man ums Rauchen gar nicht herumkommt, wenn man es eine Weile in dieser uralten Fußballkneipe aushalten will. Der Rauch vernebelt dann auf angenehme Weise den Gilb und die Gehirne. Und viele andere schwierige Sachen. Während der kurzen Phase des absoluten Rauchverbots in der Hamburger Gastronomie kroch einem in solchen Läden vor allem ein Geruch in die Nase: Toilette. Plus Schweiß plus Bier. Da haben viele gemerkt, dass Zigaretten nicht das Schlimmste sind, was man in einer richtigen Kneipe so riechen kann. Ich glaube ja, das war der Hauptgrund, warum sie das Rauchverbot hier wieder ein bisschen gelockert haben. Die Hamburger sind eben pragmatisch.
    Ich sitze an der Theke, rauche und warte auf den Calabretta. Wir kucken inzwischen manchmal zusammen die Auswärtsspiele. Über mir baumeln Wimpel von allen Clubs der Republik, die meisten sind von angestammten Zweitligisten. Die lange Wand hinterm Tresen ist mit Autogrammkarten von Sankt Paulis Spielern der letzten vierzig Jahre tapeziert. Der Kicker ist der Inbegriff der Eckkneipe mit einem Ball im Herzen. Es gibt ausschließlich Flaschenbier. Und wer am Samstag hier reinkommt und Bundesliga-Konferenz kucken will, läuft Gefahr, geteert und gefedert zu werden. Hier wird der FC Sankt Pauli gekuckt und sonst gar nichts.
    Der alte Herr neben mir trägt einen Kamelhaarmantel und eine dunkelblaue Strickmütze. Er informiert mich darüber, dass wir Eintracht Frankfurt heute mindestens drei zu null putzen.
    »Kann sein«, sage ich, aber wir wissen beide, dass ich ihm damit nur einen Gefallen tun will.
    Und auch wenn wir heute gewinnen sollten – am Ende der Saison werden wir trotzdem nicht mehr in der ersten Liga spielen, da bin ich sicher. Das sage ich natürlich nicht. Wer weiß, aus welchem Holz der Herr neben mir geschnitzt ist. Und ich will keine alten Männer verletzen.
    Der Calabretta kommt rein. Er hat eine gerollte türkische Pizza in der Hand, bestellt sofort ein Bier und sagt:
    »Moin, Chef.«
    Ich muss husten, versuche aber, ihn dabei anzulächeln. Er schüttelt den Kopf, setzt sich neben mich und beißt in sein Lahmacun. Noch eine halbe Stunde bis zum Anpfiff.
    »Lecker«, sagt er, zwischen zwei Bissen, »wollen Sie mal probieren?«
    »Danke«, sage ich, schüttele den Kopf und drücke meine Zigarette in dem ASTRA-Aschenbecher aus, der vor mir auf der Theke steht. Ich bestelle mir ein Alsterwasser. Passt ja eher zu Sonnenschein. Egal. Ich liebe das blau-weiße Etikett mit dem roten Anker drauf.
    »Ich war gestern in der Oper«, sage ich.
    »Oh!«, sagt der Calabretta. »Wusste gar nicht, dass Sie in die Oper gehen.«
    »Ich auch nicht«, sage ich.
    Er zieht die Augenbrauen hoch und kaut.
    »Ich hab mich da mit jemandem getroffen, der was zu erzählen wusste«, sage ich.
    Er zieht die rechte Augenbraue noch etwas höher, legt sein Lahmacun zur Seite und wischt sich mit einer dünnen weißen Papierserviette den Mund ab.
    »Hieronymus Schlindwein«, sage ich, »kennen Sie den?«
    »Ist das nicht der Typ, dem die Flora gehört?«
    Ich nicke und nehme einen Schluck von meinem Alsterwasser. Es schmeckt kühl und sauber und beruhigt meine

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