Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)
Nichtraucher-Sein und zünde mir endlich wieder eine Zigarette an.
*
Es wird immer lauter in der Hütte. Der Plattenaufleger legt Rock ’n’ Roll auf, richtigen, heftigen Rock ’n’ Roll. Der Brückner und der Schulle zucken schon leicht mit den Schultern. Ich weiß, dass die beiden Tanzmäuse sind. Der Faller hat mir das mal erzählt. Die können einfach den Arsch nicht stillhalten, wenn die Musik an ist. Der Calabretta steht am Flipper. Das hübsche Ding neben ihm hat keine Haare, sondern fließendes Gold auf dem Kopf, es fließt fast bis zu ihren Hüften, sie ist maximal zweiundzwanzig, ein bisschen rund und koboldgesichtig, aber wirklich sehr süß. Sie himmelt ihn an. Recht so, das kann er gut mal haben. Er gibt dem alten Addams-Family-Flipper Saures, es klingelt und hupt in einer Tour, ja, Baby, und das Mäuschen klingelt auch.
Der Inceman und ich reden immer noch nicht. Aber seit kurz nach halb elf wird zurückgekuckt.
Und da wird plötzlich der Plattenaufleger weich. Elvis. Als könnte er nicht anders, ich verstehe echt überhaupt nicht, warum der jetzt so was macht. I just can’t help believin’. Der Inceman kuckt noch ein bisschen mehr, ich bin überrascht, ich dachte, mehr geht nicht, geht aber wohl doch. Er legt die Hand unter mein Kinn und hebt es ein bisschen an. Wir sind jetzt gleichauf. Hilfe.
*
Jetzt macht er uns fertig, der Plattenmann. Das sind die Tindersticks, alte, melancholische Stimmen, Sieben-Minuten-Versionen, das ist ganz schlimm sexy, das schaukelt sich Song für Song mehr hoch, und er hört nicht auf damit. Der Calabretta hat das hübsche Mädchen über den Flipper gelegt, und das gefällt dem Mädchen offensichtlich sehr. Ihr Goldhaar fließt an den Flipperknöpfen vorbei bis fast auf den Boden, ihre Arme liegen fest um den Hals meines italienischen Kollegen. Der Calabretta hat sie um die Taille gepackt und zeigt ihr Clark-Gable-mäßig, wozu ein Kommissar in seinen späten Dreißigern beim Küssen fähig ist. Ich habe den Calabretta so noch nie gesehen, und ich muss sagen: Es ist sehr eindrucksvoll. Mein Bild von ihm erweitert sich gerade um eine deftige Perspektive.
Der Inceman und ich halten uns fern von den blinkenden Lichtern des Flipperautomaten. Wir stehen in einer dunklen Ecke neben der Theke rum, und bei Gott, wir stehen da rum wie die Wahnsinnigen, bald gibt’s kein Halten mehr. Ich fühle mich, als hätte ich ein Leopardenfell an, so kenn ich mich gar nicht.
»Lass uns gehen«, sagt der Inceman, und seine Stimme ist so dunkel wie sein Blick, »lass uns schnell gehen. Bitte.«
Ich nehme ihn an der Hand, und wir gehen raus, an der Theke vorbei, auf der die Kollegen Brückner und Schulle mit sehr langbeinigen, sehr rothaarigen Zwillingen in sehr kurzen Röcken tanzen. Die eine Frau hat auf ihrem linken Bein einen Anker tätowiert, die andere Frau eine Bierflasche. Die Damen scheinen eine Art Sankt-Pauli-Ausgabe der Kessler-Zwillinge zu sein. Der Brückner und der Schulle winken uns fröhlich zu und rufen:
»Tschüs, Chef! Tschüs, Inceman, alte Sau!«
Hab ich doch gesagt: Was sind wir nur alle für herrliche Arschlöcher. Und meine teambildenden Maßnahmen sind offensichtlich ein Kracher.
TAGESKLINIK
M ein Kopf dröhnt. Ich brauche einen Moment, bis ich begreife, wo ich bin. Da ist ein Arm um meine Taille gelegt. Es ist nicht Klatsches Arm. Ich drehe mich vorsichtig um, winde mich aus der Umarmung und schaue den dunklen Mann an, in dessen Bett ich offensichtlich geschlafen habe. Der Mann sieht aus wie einer dieser Männer auf diesen alten Schwarzweißfotografien. Klare Konturen, gestochen scharf und auf eine mir im Moment unbegreifliche Art sehr weit weg. Sehr fremd. Und doch hat er ein Gesicht, das einem so verdammt leicht im Gedächtnis bleibt. Viel zu leicht. Ich glaube, Rudolfo Valentino hatte so ein Gesicht. Ein Herzenskillergesicht.
Ich hab sie ja nicht alle. Mit einem Kollegen rumzumachen. So eine Scheiße. Ich rutsche langsam aus dem Bett und suche meine Klamotten zusammen, die quer über den dunkel lackierten Holzboden verteilt sind.
Als ich in Jeans und Pulli geschlüpft bin und gerade meine Stiefel anziehen will, sagt er:
»Keine Angst, du musst hier nicht frühstücken. Aber ich kann dir gerne einen Kaffee machen.«
Autsch.
Ich sehe ihn an und weiß nicht, was ich sagen soll. Er macht Anstalten, aufzustehen.
»Bleib liegen«, sage ich.
Nicht herkommen, denke ich.
Er sieht mich lange an, ich kann mich nicht rühren unter seinem Blick. Dann
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