Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)
Zellentür.
Das war’s dann wohl schon. Na ja. Immerhin. Hab ich Fußball nicht ganz umsonst ausfallen lassen.
Ein Beamter öffnet die Tür und holt Rubsch wieder ab. Als der Calabretta und ich wieder alleine sind, klingelt mein Telefon.
»Der Faller«, sage ich.
Der Calabretta macht sein Italienergesicht. Kinn vor, Lippen geschürzt, kurzes Nicken. Ich gehe ran.
»Moin!«, sagt der Faller. Er klingt aufgeregt.
»Moin«, sage ich, »wie sieht’s aus?«
»Die Alte hat einen an der Waffel«, sagt er. »So cool die am Telefon war, so durchgeknallt ist sie, wenn man vor ihr steht.«
»Weil?«
»Fühlt sich ungerecht behandelt von der Welt, zu kurz gekommen. Glaubt, dass alle ihr was am Zeug flicken wollen. Die fühlt sich bedroht, glaube ich. Hat mir eine wirre Story erzählt von den Reichen und den Armen und darüber, dass man niemandem trauen soll, auch der eigenen Familie nicht. Wenn Sie mich fragen, ist die paranoid und gehört in Behandlung. Und sie kratzt sich. Man wird ganz hibbelig, wenn die vor einem steht.«
»Was haben Sie vor?«
»Ich bleib erst mal hier. Versuche noch mal, mit ihr zu reden.«
»Viel Glück, Faller.«
Er hat schon aufgelegt.
Der Calabretta und ich packen unsere Jacken und machen uns auf den Weg in die nächste Kneipe. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir’s noch zur zweiten Halbzeit. Denn, Achtung: Heute ist Jupp Heynckes in der Stadt.
HONDURAS
D er Calabretta und ich haben gestern Abend eigentlich abgemacht, dass wir gleich Montag früh nach dem Hausboot im Spreehafen suchen. Weil er heute zu seiner Mutter muss, wie jeden Sonntag, da ist nichts dran zu rütteln. Ich hab mich also stundenlang zusammengerissen und zu Hause rumgesessen, aber jetzt kann ich nicht mehr. Ich muss schon mal los. Nur kurz kucken. Ich kann das Boot nicht einfach bis morgen da liegen lassen.
Ich geh rüber zu Klatsche und klopfe. Klopfe noch mal. Und noch mal. Er macht nicht auf. Hm. Ich gehe wieder zu mir.
Ich würde gerne jemanden mit in den Freihafen nehmen. Es ist immer noch neblig draußen. Die Sicht ist schlecht, und ich kenne mich im Spreehafen nicht aus.
Die Kollegen Brückner und Schulle liegen mit Schweinegrippe im Bett, die will ich nicht nerven. Ich rufe mir ein Taxi, schnappe meinen Mantel und meine Mütze, und während ich die Treppen runtergehe, rufe ich beim Inceman an.
Ich hab nicht nachgedacht.
Bevor er rangeht, lege ich auf und mache mein Telefon aus.
*
Und dann gibt es im Hamburger Süden noch Orte wie diesen. Hochsehnsüchtige Ecken, auf den ersten Blick so Caspar-David-Friedrich-Ecken mit lauschigem Grün und Blau und Sand, mit Wiesen und Meer und Strand. Auf den zweiten und dritten Blick merkt man dann, dass es nur das Licht ist, das einen dermaßen am romantischen Muskel zu packen kriegt. Und natürlich das Wasser. Die bunten Hausboote, die mehr Häuser als Boote sind und alle aussehen, als wären sie siebzehn Mal lackiert. Pippi-Langstrumpf-Dinger. Und die gammelige Industrie am Horizont verwandelt sich in Feengedanken.
Das Verrückte am Spreehafen ist, dass das Licht dort gar kein Licht braucht, um da zu sein. Sogar an Tagen wie heute, an denen der Nebel den Himmel schluckt und die Sonne keine Chance hat, erkennt man das Licht. In dieser Zwischenwelt. Nicht Wasser, nicht Land. Elbe.
Ich laufe eine Weile am Ufer entlang und schaue Richtung Innenstadt. Ich war bisher ein einziges Mal hier, ist schon Jahre her. Das war an einem Frühlingssommerabend, es muss im Juni gewesen sein, weil es überhaupt nicht dunkel werden wollte. Carla hat mich durch den Hafen geschleppt. Der Tag war warm gewesen, wir hatten den Nachmittag auf einem Ponton verbracht und Bier getrunken. Irgendwann sind wir dann am Spreehafen gelandet. Ich erinnere mich nicht mehr an viele Details jenes Abends, aber dieses spezielle Licht hab ich noch im Kopf. Und Carla, die ich damals noch nicht lange kannte. Ihre langen Haare, ewig lang waren die, fast bis zur Taille. Ihr Lachen, klar und dreckig zugleich, das es locker von da bis zum Michel geschafft hat. Sie hat mir an dem Abend zum ersten Mal von ihrem damaligen Lover Fernando erzählt. Die beiden waren manchmal ein Paar und manchmal nicht, und jede Änderung der Verhältnisse ging mit alles verschlingenden Leidenschaften einher. Einer war immer am Heulen, spätestens alle drei Wochen. Ich war geplättet. Ich hatte vor Carla noch nie jemanden getroffen, der so viel Gefühl in Worte legen kann. Am Ende ihrer Erzählungen dachte ich, ich müsste Fernando
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