Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
übersetze. Hat sie aber nie abgeholt.«
»Sagte sie auch, warum sie an den Dokumenten interessiert war?«
»Die hatten auch eine englische Übersetzung direkt darunter, das habe ich ihr auch gesagt, aber sie meinte, sie wolle meine Übersetzung mit der Englischen vergleichen. Zuerst dachte ich, es handelt sich um irgendein blödsinniges Uni-Experiment oder so, um mich auf die Probe zu stellen, ob mein Cherokee überhaupt etwas taugt, aber dann wurde mir klar, wonach sie suchte.«
»Und was war das?«
»Nach Abweichungen in den beiden Versionen. Nur geringfügig, leicht zu übersehen, wenn man nicht ganz genau hinschaut, aber da war ein Unterschied.« Sie bedeutete Caitlyn, ihr zu folgen, und führte sie ins Esszimmer. Hier gab es einen Tisch ohne Stühle, was wohl daran lag, dass der Tisch selbst einfach ein grober, aus einem Baum geschnittener großer Block war, der fast den gesamten Raum einnahm. Er war poliert, sodass jeder von den vielen Ringen, die sein hohes Alter verrieten, gut zu sehen war.
»Ist schon seit Generationen im Besitz meiner Familie.« Sie zeigte auf den Tisch. »Nicht, dass es jemanden interessieren würde. Kann nicht mal meine Enkel dazu bewegen, mich zu besuchen. Und wenn sie kommen, verkriechen sie sich bloß im Kasino, sitzen vor ihren Computerspielen oder wollen auf die Wasserrutsche.«
Auf der einen Seite des Tischs lag ein Stapel Ordner. Mrs LittleJohn schlug den obersten davon auf und breitete den Inhalt vor Caitlyn aus.
»Was sind das für Papiere?«, fragte Caitlyn.
»Das sind die Original-Landschenkungsurkunden, die die ehemaligen Sklaven damals als Teil des Abkommens erhalten haben.«
Caitlyn blätterte bis zum letzten Blatt des englischen Textes. Stellvertretend für die zweiundzwanzig Familien hatte Elijah Hale unterschrieben. »Hat Lena ihren Stammbaum erforscht?«
»Das war keine Ahnenforschung«, sagte Mrs LittleJohn mit wissendem Lächeln. »Es ging um das Land. Hier ist der Originaltext.« Sie zeigte auf eine Kopie, die von verschlungenen Cherokee-Schriftzeichen bedeckt war. »Sehen Sie das hier? Das ist das Wort für
Süden
. Aber im englischen Text wurde es in
Norden
abgeändert.«
Caitlyn kniff die Augen zusammen. Die englische Version war schwer zu entziffern, da sie in altmodischer Schreibschrift verfasst war. Aber als Mrs LittleJohn auf den Abschnitt deutete, von dem sie sprach, sah Caitlyn, dass sie recht hatte.
Mrs LittleJohn ging aus dem Zimmer und kam mit einer großen gerahmten Landkarte zurück. Eine antike, in Cherokee beschriftete und handgezeichnete Karte.
»In der englischen Version geht es um das nordöstliche Gebiet in Qualla Boundary.« Sie zeigte Caitlyn das Gebiet auf der Karte. »Das liegt hier.«
»Heute ist da nichts, nur ein Waldgebiet, das an den Nationalpark und die Teddy-Roosevelt-Lodge grenzt.« Also keine Straßenverbindung, schwer zu erschließen. Wertlos. Allerdings erklärte das, warum Lena zur Lodge gefahren war. Sie wollte das nahegelegene Gelände von dort aus untersuchen. »Aber Sie sagten, das den schwarzen Familien tatsächlich zugesprochene Land befände sich im Süden.«
»Genau. Damals war dieses Gebiet für mein Volk von geringem Wert. Es war weitestgehend abgeholzt, war wegen der Lage so weit unten am Berg kein gutes Jagdgebiet, und es lag zu weit weg vom Fluss.«
»Wo befindet sich der richtige Landstrich? Die südliche Gegend, die tatsächlich Nachfahren der schwarzen Familien gehört?«
Das Lächeln von Mrs LittleJohn wurde noch breiter, als sie mit dem Finger nach unten glitt, bis zu einem Punkt am Rand des Reservats. Genau dorthin, wo das Kasino stand.
»Heilige Scheiße«, entfuhr es Caitlyn, als sie die ungeheure Tragweite von dem erfasste, über das Lena da gestolpert war.
»Ganz genau.«
Während Caitlyn die Dokumente mit ihrem Handy abfotografierte, dachte sie angestrengt darüber nach, wie all die Puzzleteile zusammen passten. »Wenn das Original korrekt ist, dann wäre die englische Fassung frühestens 1988 abgeändert worden, als der
Indian Gaming Act
erlassen und das Kasino geplant wurde.«
»Richtig. Es sei denn, die Übersetzung war von Anfang an falsch. Wer weiß?«
»Das wäre ein zu großer Zufall. Es muss 1988 gewesen sein.« Ihr fiel wieder ein, wie Bearmeat sich darüber ausgelassen hatte, dass das Stammesarchiv damals ein schreckliches Durcheinander gewesen sei. Und selbst mit damaliger Technik wäre es nicht allzu schwer gewesen, eine kleine Veränderung vorzunehmen. Wer würde sich schon
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