Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
die Mühe machen, das Original auszugraben, um alles miteinander abzugleichen? In Qualla Boundary lebten schon lange keine Nachfahren der ehemaligen Sklaven mehr – die Hales waren die Letzten, die überhaupt noch in der Gegend wohnten. Also würde niemand widersprechen oder den Unterschied bemerken.
»Es muss 1988 gewesen sein«, entschied Caitlyn. Jenes Jahr, in dem der Stammesälteste umgebracht und Hale festgenommen wurde, und auch ihr Vater starb. Das bedeutete, wer auch immer hinter all dem steckte, wollte verhindern, dass das Bauvorhaben an anderer Stelle ausgeführt wurde – oder sich verzögerte. »Wer weiß außer Mr Bearmeat sonst noch, dass Lena Ihnen diese Unterlagen gebracht hat?« Die alte Frau konnte zur Zielscheibe werden.
»Ich lebe allein am Ende einer Straße, in der außer mir niemand wohnt. Zum Teufel, nicht einmal meine eigenen Kinder kommen noch zu Besuch hierher. Wer sollte das also mitbekommen haben?«
»Trotzdem. Ich denke, Sie sind hier möglicherweise nicht sicher. Wenn ich Sie aufgespürt habe, dann könnte das auch jemand anderem gelingen.«
Sie befürchtete schon, Mrs LittleJohn würde sich weigern, ihr Haus zu verlassen, sodass sie jemanden zu ihrem Schutz abstellen müsste. Doch die alte Frau nickte. »Ich habe schon geahnt, dass Sie das sagen würden. Deswegen habe ich Ihnen das auch alles erzählt. Jetzt bin ich nicht mehr die Einzige, die davon weiß.«
Sie ging an Caitlyn vorbei zur Tür und kam mit einem lila Rollkoffer zurück, den sie vor sich herschob. Die kleinen Rollen sausten über den welligen Holzboden. »Ich bin dreiundsiebzig Jahre alt. Wird langsam Zeit, dass ich was von der Welt sehe, meinen Sie nicht auch, Agent Tierney?«
Lena weigerte sich, die Schimpansin zurückzulassen und viel Zeit zum Diskutieren blieb ihnen nicht, also musste Goose sie letztendlich beide in eine andere Hütte bringen. Dabei hielt Lena die Schimpansin mit einem Arm fest an die Brust gedrückt, während sie sich mit der anderen an Gooses Kragen festhielt. Weder der Leopard, Weasel oder andere wilde Tiere waren zu sehen, ein Glück.
»Sie müssen Bernie helfen. Er ist krank, er braucht einen Arzt«, brüllte ihm Lena über das Motorengeräusch hinweg ins Ohr. Vor der Hütte angekommen sprang sie mit dem Affen vom Rücksitz. Die Schimpansin hielt Lena an der Hand, drehte sich aber einmal zu Goose um und kreischte ihn mit gebleckten Zähnen an. Vermutlich kam er so noch glimpflich davon, das verdammte Viech hätte während der Fahrt ja auch mal herzhaft zubeißen können.
»Hey, ich hab dich immerhin heil hierhergebracht«, sagte er an den Affen gewandt. »Was willst du also mehr?«
Weder der Schimpanse noch das Mädchen antworteten ihm, sie rasten die Stufen zur Hütte hoch. »Bernie?«, rief Lena und schaltete das Licht ein und fiel neben Bernie, der reglos im Bett lag, auf die Knie. »Oh Gott, er ist tot!«
Er musste zugeben, der Kleine sah schlimm aus. Ganz blass und mit fahler Haut, die seltsam gelblich verfärbt war, die Augen eingefallen, ausgetrocknete Lippen. Aber Leichen schwitzten nicht. Goose ergriff Bernies Handgelenk. »Nein. Ich kann seinen Puls fühlen. Der ist verflucht schnell.«
»Rufen Sie einen Krankenwagen.«
Goose schnappte sich sein Handy. Kein Empfang. Aber Caitlyn sollte bald hier sein. »Keine Sorge. Hilfe ist unterwegs.«
Vielleicht war es ja besser so – dann wäre seine Tarnung nicht in Gefahr, und Caitlyn wäre mit Bernie im Krankenhaus ebenfalls in Sicherheit. Er musste sich nur irgendeine Ausrede ausdenken, warum er nie in dem Hale-Haus aufgetaucht war. Wenn nur Weasel nicht einfach wild drauflos ballern würde.
Caitlyn hatte von unterwegs angerufen, und so wartete Paul schon vor dem Archiv, als sie dort ankam. Er winkte Bearmeat zum Abschied und stieg ein.
»Wo hast du gesteckt?«, fragte er, während sie wieder losfuhr und über die Acquoni zur Route 19 raste.
Sie bedeutete ihm mit einer Handbewegung zu schweigen. Ihre Kopfverletzung konnte er glücklicherweise nicht erkennen, dafür war es zu dunkel im Wageninneren – denn sonst hätte er nie den Mund gehalten. Sie rief ihre Mutter an. Goose mochte vielleicht jeden verdächtigen, der mit dem
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zu tun hatte, aber ihre Mutter konnte unmöglich in diese Sache verwickelt sein. Außerdem war Jessalyn in einem der Apartments hinter dem Kasino untergebracht, weit weg von der Menschenmenge. Wo ließen sich Paul, Lena und Bernie besser verstecken?
»Ich bin’s, und ich hätte da eine
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