Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schweig wenn du sprichst

Schweig wenn du sprichst

Titel: Schweig wenn du sprichst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roel Verschueren
Vom Netzwerk:
denn da? Wieso hat sich vieles geändert?«
    »Oma, ich bin heute ein anderer Vater als man es früher war«, sagte Victor. »Wenn du sehen würdest, wie viel ich in meiner kleinen Familie mache – du würdest deinen Augen nicht trauen. Ich meine, ich helfe beim Kochen, die Küche aufzuräumen, Moira zum Kindergarten bringen und wieder abholen, Einkaufen gehen …«
    »Victor, bis du aus deiner Ehe desertiert bist, hast du keinen Schlag im Haushalt getan. Und bei deinem Vater war es nicht anders. All eure Zeit und Aufmerksamkeit galt eurer Arbeit«, sagte Martha.
    Er sah, dass sie aggressiv wurde, und erkannte den verbissenen Zug um ihren Mund. Aber er wollte nicht klein beigeben.
    »Was redest du denn da? Schwafeln, desertieren, keinen Schlag tun? Was zum Teufel belastet dich dermaßen, dass du mir so eine vor den Bug knallst? Warum greifst du mich plötzlich an?«, fragte Victor verärgert.
    Lilly spürte, welche Spannung in der Luft lag. Als sie ihn fragte, was los sei, fasste er das Gespräch kurz für sie zusammen. »Wenn du schon denkst, dass ich kein guter Familienvater war, dann war Vater hundert Mal schlimmer«, wandte sich Victor wieder an Martha.
    »Ihr wart genau gleich! Natürlich konnte ich nicht über unser Einkommen klagen, aber der ganze Rest ist schon erheblich zu kurz gekommen.«
    »Der Rest?«
    »Das Familienleben. Erziehung, Wahl der Schule, Probleme beim Studium, Entscheidungen über die Zukunft, Sonntage, Freunde, Familie. Dafür war ich ganz allein zuständig«, sagte sie, »und das war in deiner ersten Ehe nicht anders.«
    »Das macht mich noch nicht zu einem schlechten Vater«, verteidigte Victor sich. »Ebenso wenig wie es dich zwangsläufig zu einer besseren Mutter gemacht hat.«
    Victor wollte vom Tisch aufstehen, aber Lilly hielt ihn am Arm fest.
    »Victor, kannst du übersetzen, bitte?«, fragte sie.
    »Nachher, ich muss das zuerst zu Ende bringen«, sagte er. »Aber im Wesentlichen sagt sie, dass ich kein guter Familienvater war.«
    »Warst oder bist?«, fragte Lilly.
    »War«, sagte Victor.
    Lilly hob beide Hände empor: »Kann ich mir nicht vorstellen«, sagte sie. »Aber ich halte mich besser raus.«
    »Dein Vater hat sein ganzes Leben lang gemacht, was er wollte. Auf unsere Kosten«, sagte Martha.
    »Aber wir hatten es doch gut? Wir haben studiert, waren gut gekleidet, hatten unser eigenes Zimmer, hatten gute Freunde. Ich jammere nicht über meine Jugend. Dass ich Vater gern mehr gesehen hätte, steht fest. Aber wir wussten doch alle, was er machte und warum, und wir haben das respektiert.«
    »Du arbeitest jetzt die Schuld aus deinem früheren Leben ab, Victor. Merkst du das nicht?«, fragte Martha. »Merkst du nicht, dass du kompensierst, was du früher versäumt hast?«
    Victor fühlte, wie er zornig wurde. »Meine Kinder hatten und haben es gut, Oma. Ich glaube, sie haben nicht das Gefühl, dass es ihnen an etwas gefehlt hat, und ich spreche nicht von finanziellen Dingen. Und wenn ich heute so bin, wie ich nun mal bin, dann hat das Gründe, aber die machen mich nicht im Nachhinein zu einem schlechten Vater.«
    »Aber Victor …«
    »Oma, ich glaube, wir sollten aus Respekt vor Lilly jetzt aufhören.«
    »Wegen mir musst du nicht aufhören«, sagte Lilly, die verstanden hatte, was er sagte.
    »Zuckerbrot und Peitsche, Lilly. Immer dasselbe. Ich mache das nicht mehr mit. Für mich ist die Diskussion beendet.« Victor sammelte alle Sachen zusammen, gab Moira seiner Mutter in die Arme, bis sie wieder zu kreischen anfing, verabschiedete und bedankte sich.
    Martha schenkte Lilly das Album und sagte, sie hoffe sehr, dass sie bald wiederkommen würden.
    »So bald wie möglich«, sagte Lilly. »Und wenn wir wieder zu Hause sind, schicken wir auf jeden Fall auch ein paar Fotos.«
    Auf dem Weg zum Hotel sagte Lilly: »Sie tut ihr Bestes, Victor. Sie tut ihr Bestes.«
    »Jetzt nicht, Lilly!« Victor verkniff sich jede weitere Bemerkung und schwieg.

21
    Victor stand vor der Quinten Metsysstraat Nummer 13. Es gab drei Türklingeln. Auf der mittleren stand: L. Mertens. »Mertens«, dachte er. »Mertens?« Er gab es auf. »Ich und Namen!« Er klingelte und wartete, aber es kam keine Antwort. Er drückte nochmals, diesmal länger. Keine Antwort. »Schlechter Auftakt«, sagte er zu sich selbst und drückte die unterste Klingel.
    »Hallo?«
    »Entschuldigen Sie, dass ich störe. Aber ich suche Frau Mertens und sie ist offensichtlich nicht zu Hause.«
    »Und wer sind Sie?«
    »Ich suche Frau

Weitere Kostenlose Bücher