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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Erst nach Eslarn und dann über Waidhaus bis hierher.«
    »Warum habt ihr mich nicht sofort informiert, verdammt noch mal?«
    »Weil sie scheinbar ziellos in der Gegend herumfuhr. Wir wussten ja nicht, wohin sie unterwegs war. Was hätten wir denn melden sollen?«
    »Was tut sie dort?«
    »Im Moment steht sie auf einer Anhöhe und macht Fotos von der Burgruine.«
    Dallmann stand fassungslos auf dem Feldweg. Der Schock steckte ihm noch in den Gliedern. Sekundenlang wusste er nicht, was er sagen sollte.
    »Ist sie allein?«
    »Ja. Sieht so aus.«
    Dallmann brach der Schweiß aus. Leybach und seine genialen Ideen.
    »Hör zu. Ihr bleibt an ihr dran. Ich will ab jetzt jede halbe Stunde eine Meldung. Wo sie sich aufhält. Was sie tut. Wen sie trifft. Und passt bloß auf, dass sie euch nicht bemerkt.«
    »Okay, Chef.«
    Er stand minutenlang da und wusste nicht, was er tun sollte. Er musste handeln. Eine Entscheidung treffen. Stattdessen schaute er auf die umliegende Landschaft. Wie er diese Gegend liebte. Die Wiesen, die Hänge. Die hundert Schattierungen Grün in alle Richtungen. Die Sonne beschien die Baumspitzen, zwischen denen noch Frühnebel hing. Alles war friedlich und rein.
    Er ging ins Haus zurück, wo seine Frau mittlerweile mit zwei seiner drei Kinder am Frühstückstisch saß. Das jüngste kam gerade verschlafen die Treppe hinunter. Er nahm das Mädchen in den Arm und setzte es seiner Frau auf den Schoß.
    »Ich muss leider schon los«, sagte er.

39
    S ie folgte den Wegweisern Richtung Eslarn und Georgenberg. Die Gegend war menschenleer, und es gab kaum Verkehr. Hinter Eslarn hatte sie im Rückspiegel einen Polizeiwagen bemerkt, der hinter ihr hergefahren war. Aber inzwischen war er irgendwo abgebogen und nicht mehr zu sehen. Die Straße schlängelte sich zwischen bewaldeten Hügeln hindurch. Ein paar letzte Frühnebelfetzen hingen hie und da noch zwischen den Bäumen, doch die Sonne würde sie bald weggebrannt haben. Als sie in der Ferne eine Burgruine auf einem Hügel aufragen sah, war sie bereits seit längerer Zeit keinem Fahrzeug mehr begegnet. Sie bremste und betrachtete die Ruine und den geduckt darunter daliegenden Ort. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte. Sie hatte noch nie ein ehemaliges Konzentrationslager besucht. Auch Dachau nicht, obwohl das während der Schulzeit auf ihrem Lehrplan gestanden hatte. Sie konnte sich nicht mehr entsinnen, warum, aber sie war nicht dabei gewesen, als ihre Klasse dorthin gegangen war. Natürlich kannte sie jede Menge Bilder davon und hatte deshalb eine vage Vorstellung, wie so ein Lager üblicherweise aussah. Und ebendas verwunderte sie. Denn außer einer mittelalterlichen Burgruine und einem unauffälligen bayerischen Dorf mit dem obligaten Kirchturm war dort nichts zu sehen.
    Sie legte den Gang wieder ein und fuhr langsam die Straße entlang. Vielleicht war das ja noch gar nicht der eigentliche Ort. Aber kurz darauf passierte sie das Ortsschild. Flossenbürg. Kreis Neustadt an der Waldnaab. Sie folgte langsam der Hauptstraße. Ein Denkmal und ein kleiner Friedhof zu ihrer Linken ließ sie anhalten. War es das? Sie stieg aus und überquerte die Straße. In Memoriam Consortes stand auf einer Granitstele. Und auf einer Tafel die folgende Inschrift:
    Ehrenfriedhof für 121 Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft aus verschiedenen Nationen. Sie starben kurz nach der Befreiung im Jahr 1945 an den Folgen der Konzentrationslagerhaft.
    Auf einer Erläuterungstafel standen weitere Informationen.
Auf Weisung der amerikanischen Militärregierung wurden nach der Befreiung verstorbene Häftlinge des Konzentrationslagers in der Ortsmitte Flossenbürgs bestattet. In einer feierlichen Prozession transportierten ortsansässige Bauern mit geschmückten Wagen am 3. Mai 1945 die ersten 18 Toten zum neu angelegten Ehrenfriedhof. Die gesamte Flossenbürger Bevölkerung musste an der Begräbniszeremonie teilnehmen. Bis Juni 1946 wurden hier noch über hundert verstorbene Häftlinge des ehemaligen KZ bestattet.
    Anja schaute sich um, konnte aber keinen Hinweis entdecken, wo sich hier ein Lager befunden haben mochte. Ein Mann ging auf der anderen Straßenseite vorüber, beachtete sie jedoch nicht. Sollte sie ihn nach dem Weg fragen? Aber sie hatte Hemmungen. Sie kehrte zu ihrem Auto zurück und fuhr langsam weiter.
    Nach einigen hundert Metern machte die Durchgangsstraße einen scharfen Knick nach rechts. Der Ort war hier fast zu Ende. Auf einer Anhöhe standen einige Villen.

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