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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Mann. Er sah kurz zu ihr hin und ging dann unbeirrt seines Weges. Anja fragte sich, was für ein Gefühl es sein musste, in Sichtweite eines KZ-Brennofens seine Wäsche aufzuhängen. Dann drehte sie sich langsam um die eigene Achse und versuchte sich vorzustellen, bis wohin das Lager gereicht haben mochte. Wenn hier Tausende gefangen gewesen waren, konnten sich die Baracken nur hier oben befunden haben und nicht in dem engen kleinen Tal dort hinten. Aber wie sollte man sich das vorstellen? Wie viele Baracken mochten es gewesen sein? Und so nah am Dorf?
    Sie schlenderte wieder auf das zweistöckige Verwaltungsgebäude zu. An der Seite befanden sich zwei Türen. Sie wollte schon anklopfen, als ihr eine Auskunftstafel auffiel. Informationen zur Gedenkstätte: Oliver Skrowka. Gemeindeverwaltung Flossenbürg. Hohenstaufenstraße 24. Eine Telefonnummer stand dort auch. Sie schaute auf die Uhr. Es war kurz nach elf Uhr. Sie griff nach ihrem Handy und wählte die Nummer.

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    K onrad Dallmann rief Gerlach an und befahl ihm, den Einsatz abzublasen. Der Mann fragte zweimal nach, ob das sein Ernst sei. Dallmann bestätigte kurz und knapp. Anja Grimm sei heute Morgen widerrechtlich in den Leybachhof eingedrungen. Es stelle sich die Frage, was es mit dieser jungen Frau wirklich auf sich habe. Schließlich stehe sie in direktem Zusammenhang mit einem Tötungsdelikt und einem ungeklärten Selbstmord. Vielleicht verfolgte sie in Wirklichkeit ganz andere Ziele, als sie vorgab. Die weiteren Untersuchungen seien erst einmal einzustellen, bis er die Frau noch einmal befragt habe. Er werde sie im Verlauf des Tages festnehmen lassen und sie möglicherweise wegen Hausfriedensbruchs belangen. Es gehe ja wohl nicht an, dass sie hier einfach in fremde Häuser eindrang.
    Während er nach Amberg fuhr, überdachte er seine weitere Vorgehensweise. Der ursprüngliche Plan war sinnlos geworden. Was auch immer Anja Grimm nach Flossenbürg geführt hatte – sie mussten jetzt davon ausgehen, dass sie erheblich mehr wusste, als sie vermutet hatten. Und sie war schnell. Er dachte zerknirscht an Leybach und seine hochmütige Art. Warum hatte er sich auf seinen Vorschlag eingelassen? Eine Schnapsidee war das gewesen. Umständlich, aufwendig und voller Unwägbarkeiten. Vor allem war es geradezu obszön. Aber warum hatte er dann zugestimmt? Weil ihm diese Lösung als elegant erschienen war? Der Gedanke beschämte ihn jetzt. Steckte nicht etwas ganz anderes dahinter? Es kostete ihn Mühe, es sich einzugestehen. Aber es war nicht zu leugnen. Leybachs Rücksichtslosigkeit hatte auch etwas Faszinierendes. Wie weit würden diese alten Männer gehen? Wer waren sie wirklich? Wie dachten, wie fühlten sie? Wer war sein Vater wirklich? Welche Rolle hatte er damals gespielt, und wie dachte er heute darüber?
    Nach wie vor war er davon überzeugt, dass nichts von dem, was sich im Haingries abgespielt hatte, an die Öffentlichkeit dringen durfte. Warum sollte er, warum sollte eine ganze Region für etwas bezahlen, das keiner von denen, die heute hier lebten, verschuldet hatte? Nein, er würde es nicht zulassen, dass seine Heimat für das Erbe dieser alten Männer in Sippenhaft genommen würde. Und dass dies geschehen würde, stand zweifelsfrei fest.
    Er würde dieses Problem regeln. Aber auf seine Weise. Die junge Frau hatte ihm einen wunderbaren Vorwand geliefert, sie für eine Weile wirksam auf Abstand zu halten. Zur Not würde er drastischere Maßnahmen ergreifen, um ausreichend Zeit zu gewinnen, auch noch die letzten Spuren ein für alle Mal zu beseitigen. Aber das war nicht das Hauptproblem. Er suchte eine Antwort auf eine ganz andere Frage.
    Er parkte den Wagen und wollte gerade aussteigen, aber sein Vater trat bereits aus der Tür.
    »Was ist passiert?«, wollte er wissen, nachdem er neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.
    »Ein neuer Plan. Ich erkläre alles, wenn wir da sind.«
    »Und warum?«
    »Heinbichler hatte offenbar recht. Schnallst du dich bitte an?«
    »Das heißt?«
    »Anja Grimm ist in Flossenbürg. Seit etwa einer halben Stunde.«
    Gustav Dallmann verzog ungläubig das Gesicht. Dann wurde seine Miene eisig, und er flüsterte wie zu sich selbst: »Dieses kleine Miststück.«

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    S krowka«, antwortete eine Stimme nach dem dritten Klingeln.
    »Spreche ich mit dem Leiter der Gedenkstätte?«
    »Ja, wenn Sie so wollen. Außer mir ist jedenfalls niemand hier.«
    »Ich habe Ihre Nummer von der Informationstafel. Ich hätte ein paar

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