Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
Hinweis, dass es sich um einen Tatort handle, der untersucht werden müsse, auf die nächste Woche vertrösten.
Wie würde sie reagieren? Was würde sie tun? Hierbleiben? Das war schwer vorstellbar. Er ging davon aus, dass sie sofort nach Hause fahren würde. Und genau das wollte er. Konnte man das vielleicht ein wenig forcieren? Hatten sie die Adresse der Mutter oder sonstiger Angehöriger? Natürlich waren sie verpflichtet, ihre Mutter sofort zu informieren. Oder wolle sie das lieber selbst tun? Er könne ihr entgegenkommen und bis Montag warten, falls sie ihr die Nachricht persönlich überbringen wolle. Ja. So etwa würde das laufen.
Was hatte sein Vater damals nur getan? Man musste wahrlich kein Spezialist von der Innenrevision sein, um zu sehen, wie bei diesen Ermittlungen gepfuscht worden war. Wie oft hatte sein Vater diesem Xaver Leybach die Antworten mit seinen Fragen geradezu in den Mund geschoben? Und jetzt das ganze Ausmaß des Schlamassels! Sein Vater hatte nicht einmal versucht, sich herauszureden. »Das war eben eine komplizierte Sache.« Als sei es nur darum gegangen, eine quietschende Tür zu ölen.
»Du hast einen Mord vertuscht!«, hatte er seinem Vater vorgehalten.
»Was hättest du denn an meiner Stelle getan?«
Er hatte zunächst kaum Zeit gehabt, über das Ausmaß der Konsequenzen nachzudenken.
Und jetzt ging es darum schon gar nicht mehr. Die Frage von damals stellte sich nun in der Gegenwart einfach noch einmal. Und sie stellte sich ihm. Er konnte seinen Vater nicht fallen lassen.
Der Mord an Johannes Grimm lag über zwanzig Jahre zurück. Die Tat war vor wenigen Tagen auf unerwartete Weise bestraft, das Verbrechen gesühnt worden. Das Recht war verletzt – aber die Gerechtigkeit war nun wiederhergestellt worden. Insofern war die Sache im Grunde erledigt. Bis auf das Anliegen dieser jungen Frau. Sie wollte die Wahrheit wissen. Der Preis dafür war allerdings zu hoch. Die ganze Region würde durch den Schmutz gezogen werden. Sein Vater und die anderen wären ernsthaft in Gefahr. War es das wert? Wer hätte etwas davon außer denen, die von solchen »Skandalen« lebten und Geschäfte damit machten? Konnte man mit der Frau vielleicht reden? Er hatte es sogar erwogen. Aber der Gedanke führte nicht weit. Sie würden sich ihr ausliefern. Niemand konnte vorhersehen, wie sie reagieren würde.
Jetzt war er also mittendrin. Wie war es nur dazu gekommen? Hatte er eine bewusste Entscheidung getroffen? Aber wann? Er zermarterte sich den Kopf. Als er die Akten zum ersten Mal gelesen hatte? Während der Befragung von Anja Grimm? Nach dem zweiten Besuch bei seinem Vater? Oder erst bei diesem denkwürdigen Treffen bei Heinbichler am letzten Sonntag? So schlitterte man also in etwas hinein. Er kannte das ja von den armen Teufeln, die ihm manchmal gegenübersaßen. So schnell konnte das gehen. Da musste man gar nichts tun. Im Gegenteil. Nichtstun war manchmal ausreichend. Man wartete ab. Dann tat man etwas, um zu verschleiern, dass man abgewartet hatte. Und ehe man sichs versah, befand man sich in einem elenden Gestrüpp, das einen fester und fester umschloss.
Seine Frau drehte sich im Schlaf um und zog an der Bettdecke. Er ließ sie gewähren, erhob sich lautlos, ging ins Erdgeschoss und machte sich einen Kaffee. Er holte die Zeitung herein, überflog die Überschriften, konnte sich jedoch für keine der Nachrichten in der dicken Wochenendausgabe ernsthaft interessieren.
Er deckte den Frühstückstisch. Als sich um halb neun in den oberen Stockwerken noch immer nichts regte, zog er seine Jacke an und ging nach draußen. Er spazierte ein Stück vom Haus weg und schlug gerade einen Feldweg ein, als sein Diensthandy klingelte.
»Morgen, Konrad«, begrüßte ihn eine Stimme.
Er wusste sofort, wer am Apparat war. »Wie sieht es aus?«
»Interessant. Sie war die Nacht über bei Lukas Gollas in Regensburg.«
»Die ganze Nacht?«
»Na ja. Die Nachtschicht sagt, sie sei schon um kurz vor sechs aufgebrochen. War wohl nicht so toll. Sie ist dann nach Waldmünchen zurückgefahren, wo wir um sieben übernommen haben.«
»Und jetzt?«
»Sie war gerade auf dem Leybachhof.«
»Was? Wieso?«
»Keine Ahnung. Sie ist einfach hingegangen, hat fast eine Dreiviertelstunde im Haus verbracht und ist dann wieder herausgekommen. Im Moment ist sie in Flossenbürg.«
Konrad Dallmann blieb ruckartig stehen. »Wo ist sie?«
»In Flossenbürg. Wir dachten erst, sie fährt nach Faunried. Aber sie ist weitergefahren.
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