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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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gleichen Sinne wie feindliche Soldaten. Juden waren Ungeziefer. Juden zu ermorden war keine Heldentat, sondern eine völkische Hygienemaßnahme.«
    »Sind die Namen der Träger dieser Auszeichnung bekannt?«
    »Nicht alle. Während des Zusammenbruchs ist viel verlorengegangen. Und bestimmt gab es auch noch ein paar verdiente Anwärter, die zwar eine Liste ihrer Leistungen in der Tasche hatten, aber keine Gelegenheit mehr bekamen, sich für die Spange zu bewerben. Aber im Bundesarchiv in Koblenz wird man eine Liste mit den meisten Namen haben. Das heißt, warten Sie …«
    Er erhob sich, ging an eines der Regale und zog nach kurzer Suche einen Heftordner heraus. Er blätterte darin und legte das Dokument dann aufgeschlagen vor sie hin. In mehreren Spalten waren Namen und Abkürzungen abgedruckt.
    »Das sind Listen mit Namen des Lagerpersonals, leider unvollständig, und auch nur bis Herbst 1944. Wir arbeiten noch daran. Aber in Spalte sechs sind, wie Sie sehen, auch die militärischen Grade, Rangabzeichen und dergleichen erfasst. Hier ist das Kürzel: NKSiG. In diesem Abschnitt sind zum Beispiel zwei Träger gelistet.«
    Anja atmete tief durch. Die Namen kannte sie nicht.
    Oliver Skrowka sah sie erwartungsvoll an. »Sie können mir also nicht sagen, wo Sie diese Dose gefunden haben?«
    »Sie war hinter einer Wandverkleidung versteckt«, antwortete sie widerstrebend. »Sie muss seit vielen Jahren dort verborgen gewesen sein. Vermutlich seit dem Kriegsende, oder?«
    »Möglich.« Seine Antworten wurden nun ebenso vage wie ihre. »Sie sind sehr misstrauisch, Frau Grimm.«
    Anja wurde rot. »Das … das tut mir leid.«
    »Nein, nein. Es ist Ihr gutes Recht.«
    Anja schaute beschämt zur Seite und ließ ihren Blick dann wieder über die Papierstapel und Aktenordner schweifen. Dabei fiel ihr eine große Landkarte auf, die mit Reißnägeln an der Wand befestigt war. Um Flossenbürg herum, das in Form eines roten Kreises im Zentrum der Karte ruhte, scharten sich viele Punkte in alle Himmelsrichtungen. Manche wiesen kleine Orte in der näheren Umgebung aus wie Altenhammer oder Hohenthan, andere weiter entfernte Ortschaften wie Hersbruck, Stulln oder Ganacker. Sogar bis in die Nähe von Leipzig und Prag waren Ortschaften markiert.
    »Flossenbürg war nur das Zentrum dieser gigantischen Hölle«, erklärte Skrowka und schaute nun ebenfalls auf die Karte. »Es gab etwa neunzig Außenlager, die von hier aus mitverwaltet wurden. Sie müssen sich das wie einen Industriekonzern vorstellen, einen Sklavenstaat mit Zweigstellen im ganzen Land, allerdings mit der Einschränkung, dass es nur bedingt um ökonomische Güter- oder Warenproduktion ging. Das System produzierte vor allem Leichen, daher entzieht es sich auch jeder Rationalität oder Logik. Im Vordergrund standen Erniedrigung, Entmenschlichung und das denkbar qualvollste Sterben, also im Grunde rein psychotische Kategorien. Der wirtschaftliche Nutzen war eher eine zufällige Begleiterscheinung.«
    Anja warf wieder einen Blick auf die zahllosen Ordner. »Wie viele Menschen sind hier ums Leben gekommen?«, fragte sie dann.
    »So ganz genau weiß das niemand. Schätzungen zufolge waren es dreißig- bis vierzigtausend.«
    »Und es treffen noch immer Suchanfragen ein?«
    Skrowka nickte. »Kommen Sie. Ich führe Sie ein wenig herum.«
    Bevor sie antworten konnte, klingelte ihr Telefon.

42
    I m Wagen herrschte eisiges Schweigen.
    Gustav Dallmann hatte mehrfach versucht, das Gespräch mit seinem Sohn wieder in Gang zu bringen, aber Konrad blickte starr vor sich auf die Fahrbahn und sagte kein Wort.
    Gustav Dallmann kannte seinen Sohn. Er würde sich schon wieder beruhigen. Es war ja wohl nicht das erste und bestimmt nicht das letzte Mal, dass besondere Umstände ihm einen flexiblen Umgang mit den Vorschriften abverlangten. Wozu die ganze Aufregung? Diese jungen Leute hielten ja rein gar nichts mehr aus. Weichlinge, dachte er wieder. Allesamt.
    Natürlich war die Situation jetzt ein wenig kniffelig geworden. Aber noch war ja nicht einmal klar, was die Frau tatsächlich wusste.
    Er warf einen Seitenblick auf seinen Sohn, der nach wie vor stumm durch die Windschutzscheibe stierte.
    »Vielleicht ist sie ja doch nur zufällig dorthin gefahren«, versuchte Gustav Dallmann das Schweigen zu durchbrechen. »Ich meine, der Ort entwickelt sich ja allmählich zu einer touristischen Attraktion. Schlimm genug.«
    »Aha. Glaubst du das wirklich?«
    »Ich wüsste nicht, wie sie sonst auf die Idee

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