Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
nichts unternehmen werden, womit ich nicht einverstanden bin?«
»Sicher.«
»Stammt das von hier?«, fragte sie.
»Das ist schwer zu sagen«, sagte Skrowka und griff nach der Anstecknadel. »Wann, sagten Sie, haben Sie das gefunden?«
»Vor ein paar Tagen.«
»Und ich bin wirklich der Erste, dem Sie davon erzählen?« Er schaute sie jetzt direkt an. War das so wichtig?
»Ich habe bis jetzt mit niemandem darüber gesprochen.«
Er nickte und machte sich eine Notiz. Warum tat er das? Musste er so etwas vielleicht doch melden? War er deshalb vorsichtig? Versah der junge Mann hier vielleicht ein richtiges Amt? Auf Anja wirkte er wie ein Zivildienstleistender oder ein Student. Sie schätzte ihn auf höchstens fünfundzwanzig. Aber die Art, wie er sprach, schnell und bestimmt, verlieh ihm eine Autorität, die ihn älter erscheinen ließ.
Skrowka griff in eine Schreibtischschublade, holte eine Pinzette und ein Vergrößerungsglas heraus, ergriff behutsam eine der überkronten Zahnreihen und betrachtete sie unter der Lupe. Anja sah stumm zu und wartete. Der Anblick hatte nichts von seinem Horror verloren. Aus manchen der Zähne ragten sogar noch die Wurzeln hervor. Es lagen nicht nur vereinzelte Goldkronen in dem Behälter, sondern ganze Kieferfragmente, in denen noch drei oder vier Zähne überkront feststeckten, so dass bei flüchtigem Hinsehen tatsächlich der Eindruck entstehen konnte, es handle sich um Patronenreste. Anja sah zu, wie Skrowka ein Zahnfragment nach dem anderen kurz unter der Lupe betrachtete und dann behutsam zurücklegte.
»Ist das hier eine Forschungseinrichtung?«, fragte Anja nach einigen Minuten Schweigen.
»Nein«, antwortet er mit einem Gesichtsausdruck, auf dem trotz aller Beherrschung zu sehen war, dass er so etwas auch nicht alle Tage zu sehen bekam. »Das wäre zu viel gesagt. Aber seit mehr und mehr Menschen wie Sie hier auftauchen und wissen wollen, was sich hier eigentlich abgespielt hat, ist bei der Bayerischen Staatsregierung die Einsicht gereift, dass der Schauplatz systematischer Massenmorde vielleicht nicht von der Park- und Schlösserverwaltung betreut werden sollte. Ich habe für drei Jahre Geld bekommen, um diese Auskunftsstelle aufzubauen. Dort drüben«, er deutete auf ein Regal mit Ordnern, »sehen Sie die Anfragen. Aus Frankreich, Belgien, Russland, Polen, Spanien, Italien, aus der halben Welt eigentlich, Nachkommen von Kriegsgefangenen, deren Spur sich hier verliert und die wissen wollen, was aus ihren Brüdern, Schwestern, Vätern oder Müttern geworden ist. Wie gesagt, keine Aufgabe für eine Gärten- und Schlösserverwaltung, die hier seit fünfzig Jahren vor allem Gräber gepflegt hat. Es wird hoffentlich nicht bei diesem kleinen Büro bleiben, aber das hängt davon ab, ob der öffentliche Druck bestehen bleibt und das Geld weiter fließt. Und«, er machte eine kurze Pause, »und davon, was ich alles so finde in den Archiven der Gemeinden und in der Umgebung überhaupt. So wie das hier.«
Skrowka hatte nun den länglichen Orden in die Hand genommen. »Ich bin kein Experte für Militaria. Aber dieses Abzeichen hier ist etwas Besonderes. Es war auch in dieser Kiste? Oder lag es woanders?«
»Nein. Ich habe den Behälter genauso gefunden, wie er vor Ihnen steht.«
Skrowka legte die Anstecknadel vor sie hin. Anja musterte argwöhnisch das kleine Hakenkreuz in der Mitte des länglichen Ordens, unter dem sich ein Gewehr und eine Stielhandgranate kreuzten.
»Das ist ein Nahkampfspange«, sagte Skrowka. »Der Name sagt eigentlich schon alles. Sie wurde 1942 eingeführt, also zu dem Zeitpunkt, als die Härte des Krieges unvorstellbar wurde und für Infanterieeinheiten ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden musste. Es gab drei Typen: Bronze, Silber und Gold. Man musste dafür eine bestimmte Zahl von Mann-zu-Mann-Einsätzen gehabt haben. Diese hier ist aus Gold. Wer die bekommen hat, ist ziemlich nah dran gewesen. Ich meine mich zu erinnern, man musste fünfzig Nahkämpfe überlebt haben, bevor man sie bekam. Sie wurde entsprechend selten verliehen, soviel ich weiß, nur vier- oder fünfhundertmal.«
Anja schaute wieder auf die ausgebrochenen Zähne und die im Licht glänzenden Goldkronen. Skrowka war ihrem Blick gefolgt. »Nein, diese Art Einsatz gehörte nicht dazu«, fuhr er fort. »Der Orden war für Soldaten bestimmt, die, um in der Sprache der Zeit zu bleiben, soundso viele Male das Weiß in den Augen des Feindes gesehen hatten. Juden waren ja keine Feinde im
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