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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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in Hörweite. Die Luftangriffe. Und überall irrten KZ-Häftlinge in der Gegend herum, die sie kannten und jederzeit identifizieren konnten. Die wussten doch alle ganz genau, was sie getan hatten. In Flossenbürg, in Hersbruck, in Ganacker und in wer weiß wie vielen weiteren Lagern. Alle konnten sie auf den Märschen nach der Evakuierung der Lager ja gar nicht mehr erschießen. Und als der Befehl gekommen war, aufzuhören und nach Hause zu gehen, da waren doch noch Tausende übrig, irrten durch die Ortschaften oder flohen in die Wälder, weil sie gar nicht glauben konnten, dass es vorbei war.
    Hatten sie vielleicht eine Wahl gehabt, als diese versprengte Gruppe im Haingries auftauchte? Vor ihrer eigenen Haustür! Die mussten sie doch liquidieren. Hätten sie die vielleicht am Leben lassen sollen, bis der Amerikaner kam, um sie auszufragen? Mindestens zwei davon hätten ihn sofort erkannt. Ohne Zweifel. Und Schlei erst! Den kannten sowieso alle. Was für einen Unterschied hatte es außerdem gemacht? Jahrelang hatten sie Häftlinge erschossen oder aufgehängt. Das war schließlich ihre Aufgabe gewesen. Er konnte ja gar nicht zählen, wie vielen von denen er auf den Märschen den Gnadenschuss verpasst hatte. Und nur weil ein paar Stunden zuvor irgendjemand im fernen Berlin befohlen hatte, es sei jetzt zu Ende und man solle bitte schön nach Hause gehen, sollten auf einmal von jetzt auf nachher andere Regeln gegolten haben? Am Vormittag wäre man von der SS selbst noch erschossen worden, hätte man die Erschießungsbefehle nicht befolgt. Und am Nachmittag war man plötzlich ein Kriegsverbrecher? Ein Krieg ging nun mal nicht schlagartig zu Ende. Da wurde erst noch eine Weile fleißig weitergestorben. Das war kein Fußballspiel, das man abpfeift, sondern eine beschissene Wunde, die ausblutet. Was für ein Chaos! Und dazu noch das Drama zwischen Schlei und Leybach um die Ruschka. Ach, man müsste das alles aufschreiben.
    Gustav Dallmann blickte zu seinem Sohn, der mit finsterer Miene durch die Windschutzscheibe starrte. Wenn Konrad jetzt bloß keinen Unsinn machte! Er hatte doch wohl endlich begriffen, wie die Dinge lagen. Dann wanderten seine Gedanken wieder in die Vergangenheit zurück, zu Johanna Ruschka. Was für eine Frau! Er verstand sehr gut, dass Leybach und Schlei sich bis auf den Tod um sie gestritten hatten. Die Szene im Haingries würde er niemals vergessen. Wie sie dort um die ganzen Leichen herumgestanden hatten und mit dem Zuschütten der Grube warteten, bis die Johanna den Xaver vom Hof geholt hatte, damit der sah, wie Deutschland mit seinen Feinden umging. Das war natürlich ein Irrsinn gewesen. Was sollte ein sieben- oder achtjähriger Junge von so einem Anblick schon lernen, außer dass sie alle am Ende waren, nur noch Tage oder Stunden davon entfernt, von russischen oder amerikanischen Truppen gefangen und wahrscheinlich exekutiert zu werden.
    Kein Wunder, dass der Junge deppert wurde, wenn er es nicht vorher schon gewesen war. Hatte die Johanna dem Schlei damals etwas beweisen wollen? War es ihr darum gegangen? Wollte sie den harten Hund beeindrucken? Oder war es einfach ein Teil des allgemeinen Wahnsinns gewesen, der am Ende überall tobte?
    Er schaute mit düsterem Blick auf Heinbichlers Haus, auf das Konrad jetzt zusteuerte.
    Heinbichlers Jeep stand in der Einfahrt. Er war also offenbar schon aus Passau zurück und wartete vermutlich mit Alois im Keller auf sie.
    »Was hast du jetzt vor?«, fragte er seinen Sohn, bevor sie ausstiegen.
    »Das erkläre ich euch gleich. Gehen wir.«

43
    A nja?«
    Sie erhob sich, öffnete die Tür und ging ein paar Schritte in den Flur hinaus. »Lukas«, flüsterte sie, »ich kann gerade nicht sprechen. Kann ich dich später zurückrufen?«
    »Ja. Sicher. Wo bist du denn?«
    Sie zögerte. Wieso fragte er, wo sie war?
    »Ich bin unterwegs. Ich melde mich, okay?« Sie legte auf und schaltete das Handy auf stumm.
    Oliver Skrowka trat auf den Flur und schloss die Tür hinter sich ab. »Gehen wir?« Er ergriff sie sanft am Arm und schob sie behutsam in Richtung Treppe.
    »Machen Sie das hier ganz allein?«, fragte sie.
    »Nein. Wir sind etwa ein Dutzend Leute, ein paar versprengte Querköpfe. Wir haben vor ein paar Jahren eine Art Geschichtswerkstatt gegründet. Da war ich noch Schüler. Dann habe ich Geschichte studiert. Tja, und jetzt bin ich eben wieder hier.«
    Sie gingen die Dorfstraße hinauf. Der Himmel war blau. Die Herbstsonne schien so kräftig, dass sie beide

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