Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
wegfahren und diese Sache regeln. Danach werde ich deine glorreiche Hinterlassenschaft ein für alle Mal beseitigen.«
»Meine?«, fragte Leybach und hob amüsiert die Augenbrauen. Die beiden Männer schauten sich einige Sekunden lang an. Konrad Dallmann hatte Mühe, sich zu beherrschen. Nicht nur, dass er gezwungen war, diese Kreatur zu schützen. Die höhnische Frage, deren tieferer Sinn ihm natürlich nicht entgangen war, traf ins Schwarze. Und Alois Leybach schien größte Genugtuung darüber zu verspüren.
»Deshalb spielst du also hier mit mir Weltgericht«, sagte er lächelnd, »weil du dir davor in die Hosen scheißt, im Keller mit deinem Alten zu reden. Weißt du was, mein Lieber? Wir waren alle mit der gleichen Begeisterung dabei. Und wir bereuen gar nichts. Aber falls du besser schlafen kannst, wenn du es nur von mir hörst und nicht von deinem eigenen Vater, so sei es.«
»Fahr nach Hause, Alois, oder wie immer du heißt!«, zischte Konrad Dallmann.
Leybach erhob sich und blickte ihn hochmütig an. »Na, dann viel Erfolg mit deinem neuen Plan«, sagte er noch. »Und vergiss nicht: Du bist genauso wie wir, Konrad. Keinen Deut besser. Und wenn es mir nicht zu lästig wäre, würde ich es dir sogar beweisen. Aber wozu? Das tust du ja schon selbst. Viel Spaß mit dem kleinen Aas.«
Damit wandte er sich brüsk ab und verließ den Raum.
52
S ie spähte angestrengt zwischen den Bäumen hindurch, konnte aber niemanden entdecken.
»Hallo?«, rief sie. »Ist da jemand?«
Keine Reaktion. Sie lauschte noch eine Minute in die Stille, aber als sie kein weiteres Geräusch hörte, wandte sie sich wieder der Gerölllandschaft zu. Sie betrat den felsigen Rand der leicht abfallenden Fläche und musterte das etwa fußballfeldgroße Areal, das mit Hangschutt bedeckt war. Sie zog ihre Karte aus dem Rucksack und suchte die Stelle. Greiner Bühl. Sie markierte sie, steckte die Karte wieder ein und balancierte über die kreuz und quer ineinander verkeilten Gneisblöcke, den Blick suchend auf die Spalten und Ritzen gerichtet. Sie entdeckte Bonbonpapier, Zigarettenstummel, einen Plastiklöffel. Außer Zivilisationsmüll war nichts Auffälliges zu sehen.
Als sie etwa in der Mitte der Fläche angekommen war, schaute sie in alle Himmelsrichtungen und überlegte, wie sie vorgehen sollte.
Es fiel ihr keine Systematik für eine derartige Suche ein. Selbst wenn die Gneisblöcke nicht vorhanden wären, bräuchte man für die Untersuchung einer derartigen Fläche mehrere Tage. Planlos hier herumzugraben wäre aussichtslos. Bis in welche Tiefe überhaupt? Ein Meter? Zwei? Oder noch tiefer? Zudem war der Hangschutt für sie allein ein unüberwindliches Hindernis. Drei oder vier Männer mit Stangen und Seilen könnten derartige Steinblöcke vielleicht bewegen. Sie wäre niemals dazu in der Lage. Und Gerät herzuschaffen wäre auch nicht so einfach. Vielleicht müsste sie sogar eine Schneise durch den Wald schlagen.
Verdrießlich musterte sie den grünlichen Flechtenbewuchs auf den Gneisblöcken. Aber die Pflanzen ließen sie hier ebenfalls im Stich. Falls hier etwas im Boden eingelagert worden war, das verschwunden bleiben sollte, so war kaum ein besserer Ort denkbar.
»Anja.«
Sie fuhr erschrocken herum. Die Stimme war ein ganzes Stück weg. Aber sie erkannte sie sofort.
»Anja!«
Wie kam er denn hierher? Sie sprang über die Steine und eilte in Richtung Haingries zurück. Hatte er sie gesucht? Ja. So musste es sein. Und da sie nicht in Waldmünchen war, war er auf gut Glück hierhergefahren. Oder hatte jemand aus Hinterweiher ihren Wagen gesehen? Konnte man sich in dieser Gegend überhaupt unbeobachtet bewegen?
»Anja. Bis du hier irgendwo? So melde dich doch!«
Das Asthma!, durchfuhr es sie. Er dachte wohl, sie läge wieder halb bewusstlos irgendwo im Wald.
»Lukas!«, rief sie. »Ich bin hier.«
Sie ging quer durch den Wald. Instinktiv mied sie die Route, die sie zum Greiner Bühl geführt hatte. Plötzlich erstarrte sie in der Bewegung. Da war jemand. Ein Mann stand dort zwischen den Bäumen. Und es war nicht Lukas. Sie starrte ihn an. Er schien ebenso erschrocken zu sein wie sie. Er war vielleicht dreißig Meter von ihr entfernt. Ein Spaziergänger?, fragte sie sich. Ein Herbsturlauber? Plötzlich winkte der Mann unverbindlich mit dem rechten Arm, machte kehrt und ging davon. Ebenso wie sie, quer durch den Wald.
»Anja.«
Lukas’ Stimme war nun erheblich näher.
Sie setzte ihren Weg fort und hielt nun direkt auf
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