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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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zeigen?«
    »Du hast recht«, gab er nach einer kurzen Pause zurück, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Es ist praktischer, wenn wir uns vor Ort treffen. Kennst du den Waldweg, der von Hinterweiher nach Faunried führt? Auf der Hinterweiherer Seite ist eine Schranke, keine dreihundert Meter vor dem Haingries. Treffen wir uns doch dort.«
    Sie kannte die Stelle nicht, aber nach der Beschreibung konnte sie nicht schwer zu finden sein.
    »Also gut. Aber vier Uhr ist zu früh. Halb fünf.«
    »Abgemacht. Ich freue mich.«
    Sie legte auf. Mit gemischten Gefühlen wählte sie Obermüllers Nummer und bat ihn, sich heute für die Rückfahrt ausnahmsweise eine andere Mitfahrgelegenheit zu organisieren, da sie später noch in der Gegend zu tun habe. Danach haderte sie mit sich, ob sie das Treffen nicht wieder absagen sollte. Er wollte ihr etwas zeigen. Im Wald? Sehr einfallsreich war das nicht gerade. Was konnte ein junger Mann, der sie morgens um Viertel vor acht anrief, um sich mit ihr zu verabreden, schon von ihr wollen? Die Möglichkeiten waren recht beschränkt.
    Sie sagte nicht ab. Erst ärgerte sie sich, dass er sie überrumpelt hatte. Dann, während sie auf Hinterweiherer Gebiet kartierten, vergaß sie die Verabredung sogar vorübergehend, bis sie, je näher der Zeitpunkt der Verabredung rückte, bemerkte, dass sie nervös wurde. Außerdem musste sie sich wohl eingestehen, dass sie sich darauf freute, ihn wiederzusehen.
    Um halb vier setzte sie Obermüller an einer Tankstelle ab, wo er sich für die Rückfahrt mit anderen Waldarbeitern verabredet hatte, und machte sich auf den Weg. Lukas war noch nicht da, als sie den Treffpunkt erreichte. Sie fuhr zehn Meter vor der Schranke rechts ran, parkte den Bus und stieg aus. Es war still. Am Himmel hingen ein paar bauchige, weiße Wolken wie hingenagelt, so reglos klebten sie auf dem spätsommerlichen Blau.
    Anja atmete tief ein und genoss es, ein paar Minuten für sich zu haben, ohne Obermüller und das Gehämmer, das sie den ganzen Tag begleitet hatte, und ohne Lukas.
    Der Gedanke an ihn verursachte ihr ein flaues Gefühl im Magen. Sie schüttelte unwirsch den Kopf darüber. Was war nur mit ihr los? Wie um vor dem unangenehmen Gefühl davonzulaufen, ging sie an der Schranke vorbei und machte ein paar Schritte in den Wald hinein. Nicht weit von hier befand sich der Haingries. Linker Hand würde sie nach wenigen Wegminuten den Leybachhof erreichen, und weiter unten im Tal lag Faunried. Irgendwann in den nächsten Tagen würden sie auch hier kartieren. Aber wie? Sie ging noch ein Stück weiter in das Dickicht hinein, aber schon nach wenigen Schritten war kaum noch ein Durchkommen. Von Brombeerranken überwucherte, umgestürzte Jungbäume türmten sich vor ihr auf. Um sich gegen die Dornen zu schützen, drehte sie sich um und bahnte sich mit dem Rücken zuerst den Weg durch ein Schlehen gebüsch. Die Schranke und ihr VW-Bus entfernten sich langsam. Von Lukas keine Spur. Sie sah auf die Uhr. Es war erst zwanzig nach vier. Zehn Minuten hatte er noch.
    Sie richtete sich wieder auf und sah sich staunend um. Wie schon am ersten Tag war sie fasziniert von dem vernachlässigten Durcheinander, das hier herrschte. Wie viele Waldstücke dieser Art gab es wohl überhaupt noch? Sie legte den Kopf in den Nacken und ließ ihren Blick den mächtigen Stamm einer riesigen Buche erklimmen bis zu einer gigantischen Krone, die bestimmt dreißig Meter über ihr in den Himmel ragte. Ein leises Blätterrauschen drang von dort oben bis zu ihr herunter. Aber nein. Das Rauschen kam aus ihrer nächsten Umgebung. Anja senkte den Kopf wieder und sah sich erschrocken um. Was war das? Das Rauschen wurde jetzt stärker. Und es war längst kein Rauschen mehr, sondern ein Pfeifen und Keuchen, das ihr plötzlich gepresster Atem erzeugte.
    Nein, durchfuhr es sie. Nicht hier. Nicht schon wieder. Panische Angst überkam sie. Sie machte zwei Schritte Richtung Schranke, aber das asthmatische, keuchende Geräusch, das ihre verzweifelt nach Luft verlangenden Lungen erzeugten, ließ sie jäh erkennen, dass sie eine unverzeihliche Dummheit begangen hatte. Ruhig, versuchte sie sich einzureden. Ganz ruhig. Du bist hier völlig allein. Wenn du das Bewusstsein verlierst, wird dich keiner rechtzeitig finden. Zum Wagen. Sie musste es zum Wagen schaffen. Dort war ihr Asthmaspray. In ihrem Rucksack, den sie, dumm, wie sie war, auf dem Beifahrersitz zurückgelassen hatte.
    Sie stolperte ein paar Schritte vorwärts. Sie konnte

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