Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
ihr etwas ins Ohr. Rupert hatte den rechten Ellbogen aufgestützt und tat so, also ginge ihn das alles gar nichts an.
»Was hat die hier zu suchen?«, fuhr Waltraud verbittert fort. »Will sie alles wieder aufwühlen? Hatten wir vielleicht nicht genug Ärger?«
»Mutter«, setzte Lukas in beschwichtigendem Ton an. »Was kann denn die Anja dafür …«
»… verflucht ist diese ganze Familie«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Unglück bringen sie. Diese ganzen Leute aus der Stadt. Was haben wir mit denen zu schaffen?«
Lukas sah, wie sich auf Ruperts Gesicht ein zufriedenes Grinsen einstellte.
»Jetzt wirf mal nicht alles durcheinander, Mama.«
»Wieso?«, brummte Rupert. »Da hat sie schon recht. Stadtvolk bleibt Stadtvolk.«
»Ohne euer Stadtvolk, das eure ganzen Hypotheken finanziert, könnt ihr hier in zwei Jahren zumachen«, entgegnete Lukas mit mühsam gebändigtem Zorn. »Kapiert ihr das denn nicht? Dann könnt ihr Steckrüben kauen.«
» Deine Hypotheken, Lukas«, entgegnete Rupert ruhig.
Lukas ignorierte ihn. Das fehlte ihm gerade noch. Ratschläge von seinem dämlichen Bruder.
»Jetzt haben wir den Wald«, sagte Franz Gollas. »Jetzt wird alles anders.«
»So?«, rief Lukas verärgert. »Ist ja interessant. Und was machen wir damit? Geldscheine ernten? Wachsen die dort neuerdings von selbst?«
»Früher ging es auch ohne Banken«, brummte Rupert. »Die werden sich über kurz oder lang alles holen.«
»Ja. Von Leuten wie dir, die eine Stromrechnung nicht von einem Bankauszug unterscheiden können.«
»Schluss jetzt!«, unterbrach Franz Gollas den sich anbahnenden Streit scharf. Rupert hatte sich aufgerichtet, den Kopf ein wenig schief gelegt, und warf Lukas einen Blick zu, der etwas Animalisches hatte. Eine Ader an seinem unrasierten Hals trat deutlich hervor, und seine Finger öffneten und schlossen sich zweimal.
»Alles die Schuld von diesem kleinen Aas«, entfuhr es Waltraud. Lukas brauchte einige Sekunden, bis ihm klarwurde, dass seine Mutter Anja gemeint haben musste.
Er starrte sie fassungslos an. »Was hast du da gesagt?«
»Du weißt doch gar nichts«, fuhr sie ihn an. »Du warst ein kleiner Hosenscheißer, als das alles passiert ist. Wie sie uns wegen diesem Lehrer durch die Mangel gedreht haben, vor allem den Xaver. Und jetzt kommt die wieder zurück, schleicht hier herum und …« Der Rest ging unter in einem erstickten, wütenden Schluchzer.
Lukas schaute betreten vor sich auf den Tisch. Marga erhob sich, nahm die kleine Annelie auf den Arm und verließ das Zimmer.
18
A nja?«
»Ja.«
»Ich bin’s. Lukas. Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt.«
»Nein, nein«, log sie und schaute auf ihren Wecker, der auf Viertel vor acht stand. Sie richtete sich im Bett auf. »Was ist denn?«, fragte sie und bemühte sich, nicht so verschlafen zu klingen, wie sie war. »Woher hast du meine Nummer?«
»Ganz einfach, sie war auf meinem Display«, antwortete er.
»Ah. Ja, richtig«, räumte sie widerwillig ein. »Ich habe deine Nachricht gestern im Büro gefunden. Ich wollte deine Nummer speichern, und da habe ich wohl auf den falschen Knopf gedrückt. Ich wollte dich nicht anrufen.«
»Bist du noch im Bett?«, antwortete Lukas aufgeräumt, ohne auf ihre idiotische Ausrede einzugehen.
»Sagen wir mal, ich bin noch nicht im Büro. Also. Was willst du?«
»Ich wollte dich fragen, ob du heute bei uns in der Gegend kartieren wirst.«
Sie war jetzt hellwach. Soweit sie es durch die halb geschlossenen Vorhänge erkennen konnte, hatte sich der Himmel aufgeklart. Sie würden also arbeiten können.
»Ja. Sieht ganz so aus. Warum?«
»Ich würde dir gern etwas zeigen. Hättest du vielleicht eine Stunde Zeit? Wir könnten auch zusammen Mittag essen.«
»Mittagessen«, wiederholte sie amüsiert und fuhr sich mit der freien Hand durchs Haar. »Unser Mittagessen heißt üblicherweise Thermoskanne und belegte Brote auf irgendeinem Baumstumpf. Außerdem habe ich keine Ahnung, wo wir um die Mittagszeit genau sein werden.«
»Na, dann eben, wenn ihr fertig seid. In welcher Gemarkung seid ihr denn genau?«
»Hinterweiher«, antwortete sie nach kurzem Überlegen.
»Na also. Da gibt es doch ein Eiscafé am Marktplatz. Vier Uhr? Einverstanden?«
»Lukas. Hast du eine Vorstellung davon, wie ich nach einem Tag im Wald aussehe?«
»Klar«, erwiderte er gut gelaunt. »Blendend siehst du aus. Ich habe es ja vorgestern gesehen.«
»Gar nichts hast du gesehen. Was willst du mir überhaupt
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