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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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bereits die Schranke durch das Gestrüpp schimmern sehen. Na also. Es war nicht weit. Höchstens zwanzig Meter. Wenn nur diese verfluchten Schlehen nicht wären. Sie versuchte erneut, nach vorn gebeugt rückwärtszugehen, um rascher voranzukommen, und auch in der Hoffnung, der Anfall würde dadurch gemildert. Aber stattdessen quittierte ihre Lunge bei dieser Körperhaltung nun vollends den Dienst. Sie spürte, dass sie gleich umkippen würde. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte gelang es ihr, sich wieder aufzurichten. Endlich war da ein kleiner Spalt in ihrer Brust, durch den hindurch sie ein wenig zu atmen vermochte. Es gelang ihr, ein wenig Luft in sich hineinzusaugen. Entsetzt lauschte sie dem scharrenden Röcheln, das ihre Atemversuche begleitete. Wieso war sie nur so unvorsichtig gewesen? Sie wusste doch, dass es jederzeit passieren konnte.
    Verschwommen sah sie ihr Auto. Wo war Lukas? Wenn er doch nur schon hier wäre. Sie stemmte sich benommen gegen einen Baumstamm und versuchte verzweifelt eine Position einzunehmen, die ihr wenigstens ein klein wenig Luft zum Atmen ließ, genug, um den Anfall zu überstehen. Aber der Spalt in ihrer Brust hatte sich wieder geschlossen. Sie ging in die Knie, sank zu Boden. Sie strampelte verzweifelt mit den Beinen, schlug jetzt mit den Armen in das Streu aus Laub und Nadeln. Dann wurde ihr schwarz vor Augen.
    Plötzlich riss etwas an ihr. Sie spürte einen Druck auf ihrer Brust. Ein warmer Luftstoß schoss in ihre Lunge. Dann presste etwas auf ihren Körper und trieb die Luft wieder heraus. Im nächsten Moment fuhr erneut warme, fremde Luft in ihre schmerzende, verkrampfte Brust und blähte sie. Sie musste husten. Als sie die Augen öffnete, sah sie Lukas’ Gesicht über sich. Seine Haare klebten auf seiner verschwitzten Stirn fest.
    »Anja«, schrie er sie an. »Anja!«
    Sie wollte etwas sagen, aber ihr Mund gehorchte ihr nicht. Er war wie zugeschraubt. Sein schweißbedecktes Gesicht kam auf sie zu. Sie spürte, wie seine Lippen sich um ihre Nase herum gegen ihr Gesicht drückten. Im nächsten Moment fuhr erneut ein warmer Luftstoß in sie hinein. Es war ein unglaubliches Gefühl. Er ließ von ihr ab und starrte sie aufgelöst an.
    »Kannst du atmen?«, schrie er. »Anja, kannst du ausatmen? Los! Du musst ausatmen!« Im nächsten Augenblick spürte sie seine Hände auf ihrem Brustkorb. Er presste fest, und sie spürte, wie Luft aus ihrem Mund entwich. Dann hielt er inne und starrte sie erneut voller Sorge an. Sie versuchte zu lächeln. Er strich ihr über die Wange.
    »Anja«, sagte er noch einmal. »Kannst du atmen?«
    Ihre Brust hob und senkte sich jetzt in kurzen, flachen Bewegungen.
    »Spray«, keuchte sie. »Rucksack.«
    Er stürzte davon. Sie hörte, wie er die Wagentür aufriss. Dann kniete er wieder neben ihr, durchwühlte ihren Rucksack, bis er das Aerosol gefunden hatte. Er schob ihr das Mundstück zwischen die Lippen.
    »Nicke, wenn ich drücken soll.«
    Sie nickte sofort. Ein leichtes Zischen ertönte. Sie inhalierte das Gas so tief sie konnte und nickte erneut. Lukas drückte auf die Kapsel. Sie griff nach seiner Hand, entwand ihm das Spray und löste die nächste Ladung selbst aus. Lukas ließ sich auf den Waldboden zurücksinken und wischte sich die Haare aus dem Gesicht. »Mein Gott, Anja«, keuchte er. »Mein Gott.«
    Sie konnte noch nicht sprechen. Sie atmete in tiefen Zügen und sah ihn nur ängstlich an. Allmählich kehrte ihre Erinnerung zurück. Immer wieder sog sie tief Luft ein. Ihre Brust schmerzte höllisch, aber es war ein anderer Schmerz als die asthmatische Lähmung. Sie sah an sich herunter. Zwei Knöpfe an ihrem Hemd waren aufgerissen, und ihr BH war teilweise zu sehen.
    »Hilfst du mir bitte«, flüsterte sie, indem sie mit der einen Hand ihre Blöße bedeckte und sich mit der anderen Hand abstützte, um sich hinzusetzen. Er legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie hoch, bis sie sitzen konnte.
    »Wie lange war ich bewusstlos?«, fragte sie dann.
    »Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Lukas mit zitternder Stimme. »Ich habe dich hier auf dem Boden liegen sehen. Du hast gezuckt, wie in Krämpfen. Du liebe Güte, Anja, wie konnte das denn nur passieren?«
    »Ein Asthmaanfall«, sagte sie mühsam und hustete erneut. »Ich habe das Spray vergessen. Das passiert eben.«
    Er schüttelte den Kopf. »Verdammt. Normalerweise bin ich ja pünktlich.«
    »Du warst doch pünktlich«, sagte sie und lächelte. »Schau. Ich lebe noch.«
    Er starrte sie noch

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