Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
Wohnung?«, fragte Heinbichler, da er nun schon mal hier war.
»Sicher, sicher. Sonst hätte ich mich schon gemeldet. Komm. Setz dich. Ist ja eigentlich schön, dass du mal wieder vorbeischaust.«
Heinbichler ging in die Küche, die ebenfalls ordentlich aussah, holte sich ein Glas aus dem Schrank und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Er setzte sich, schenkte sich ein und trank, wobei er Leybach kurz in Augenschein nahm. Er sah im Grunde ganz gut aus für seine vierundachtzig Jahre. Lag es an den noch immer fülligen, grauen Haare? Oder daran, dass er noch alle Zähne im Mund hatte? Die paar Altersflecke im Gesicht waren kaum der Rede wert. Alois war nach wie vor schlank, was der helle Rollkragenpulli noch betonte. Das Älterwerden hatte ihn ein wenig gebeugt, aber er war weder aufgedunsen noch eingefallen wie so viele andere.
»Na, was gibt’s sonst Neues? Steht der Termin für die Trauerfeier schon?«
Heinbichler stellte sein Glas ab. »Angeblich nächsten Mittwoch. Aber niemand trauert«, sagte er trocken. »Und du ja wohl am allerwenigsten.«
Leybach beugte sich vor und legte die Ellbogen auf die Knie. »Warum bist du gekommen, Rudolf? Ich kann unmöglich in Erscheinung treten. Das ist dir doch wohl klar.«
»Natürlich nicht. Davon redet auch niemand.«
»Aber?«
»Es gibt Probleme.«
»So? Ich hätte eigentlich gedacht, dass dies der letzte Akt war. Unschön. Aber irgendwie auch elegant, findest du nicht?«
»Ja, Alois. Sehr elegant. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass gestern ein Trupp Kriminalbeamte den Haingries mit Bodenradar untersucht hat. Die haben die ganze Wildwiese durchleuchtet.«
Leybachs Gesicht drückte Unverständnis aus. Er lehnte sich im Sessel zurück und blickte ihn aus großen, grauen Augen an. »Aber warum denn das?«, fragte er schließlich. »Da ist doch gar nichts!«
»Natürlich ist da nichts. Aber das ist nicht die Frage.« Er machte eine Pause und trank noch einen Schluck, bevor er fortfuhr. »Die Tochter von diesem Grimm ist in Faunried aufgetaucht, Alois.«
Er konnte beobachten, wie der Sinn seiner Mitteilung ganz allmählich in Leybachs Bewusstsein eindrang und sich dort ausbreitete. Der knochige Zeigefinger von Alois’ rechter Hand begann auf einmal, auf die Stuhllehne zu trommeln.
»Ist das dein Ernst?«
Heinbichler nickte. »Sie arbeitet seit ein paar Wochen im Forstamt Waldmünchen. Am letzten Montag hat sie im Haingries Bodenproben gezogen. Xaver wollte sie daran hindern. Frag mich jetzt nicht, wie das im Einzelnen zugegangen ist. Offenbar hat sie ihn erkannt, und er sie wohl auch. Was weiß ich.«
»Diese kleine Blonde, mit der er damals gespielt hat? Meinst du die?«
»Ja. Aber klein ist die nicht mehr. Am Montag war sie außerdem nicht allein. Sie hatte einen Bohrknecht dabei. Wahrscheinlich ist Xaver deshalb weggerannt. Jedenfalls ist da weiter nichts passiert. Aber am Dienstag. Das hättest du sehen sollen. Ich habe es zufällig beobachtet, weil ich nach dem Rechten sehen wollte, nachdem Grossreither mir von dem Zwischenfall am Montag berichtet hat. Schau mal nach dem Xaver, hat er mir gesagt. Wir kartieren zurzeit bei euch im Wald, der soll besser zu Hause bleiben. Ja, leicht gesagt. Ich habe ihn gar nicht angetroffen. Bin stundenlang im Wald herumgeirrt und hab ihn erst gefunden, als er schon mit gezogener Waffe und gespanntem Hahn hinter diesem Weib auf der Wiese aufgetaucht ist. Die war nämlich noch mal alleine gekommen – das allein zeigt ja wohl, dass sie irgendwas im Schilde führt. Im Nachhinein wäre es wahrscheinlich besser gewesen, er hätte ihr den Kopf weggeschossen. Dann hätte er sich ja immer noch aufhängen können, und niemand hätte irgendwelche Fragen gestellt. Aber sie hat ihn bequatscht, Alois, und da ist er wieder weggelaufen. Ich hab ihn zur Rede stellen wollen, ihn aber nicht rechtzeitig gefunden. Tja, danach muss er wohl ausgerastet sein. Kurz darauf war die Anna tot, und er baumelte am Hochsitz.«
Leybach hatte sich erhoben. Er war aschfahl. Seine Lippen zitterten. Aber er sagte kein Wort. Er ging ein paar Schritte ins Zimmer hinein, blieb dann an der Schrankwand stehen, stützte sich ab und blickte düster vor sich hin.
»Jetzt rätseln natürlich alle herum, was in ihn gefahren sein kann. Xaver hat bestimmt den leibhaftigen Teufel in ihr gesehen. Konnte für ihn ja wohl kein Zufall sein. Und war es sicher auch nicht, denn sonst wäre sie doch nicht gleich zwei Mal hintereinander in euren Wald gekommen.«
Leybach
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