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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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endlose Reihe von Rücklichtern. Es war schon fast acht Uhr, und noch immer waren derart viele Autos unterwegs. Er ordnete sich rechts ein. Er hatte es nicht eilig. Ob er um halb neun oder halb zehn bei Lukas eintraf, war gleichgültig. Oder sollte er sich den Umweg über Regensburg sparen und lieber direkt nach Faunried zurückfahren? Vielleicht war Lukas gar nicht zu Hause? Ihn vorher anzurufen hatte wenig Sinn. Er würde ihn abwimmeln, ihm alles Mögliche erzählen. Wann hatte sein Bruder schon Lust, mit ihm zu reden?
    Rupert schaltete herunter, überholte einen Lkw und fädelte sich wieder rechts ein. Seit der Auseinandersetzung am Montag hatten sie kein Wort mehr miteinander gesprochen. Wie aggressiv er reagiert hatte! Das war eben Lukas. Sein Scheißcharakter. Ging mit ihr Pizza essen, anstatt ihr reinen Wein einzuschenken und ihr klarzumachen, was für sie alle auf dem Spiel stand.
    Warum hatten sie ihn am letzten Sonntag überhaupt aus Brüssel zurückgepfiffen? Wäre er doch gleich dort geblieben. Die üble Nachricht, die Konrad Dallmann überbrachte, hätten sie ihm auch am übernächsten Tag noch mitteilen können. Dass alles wieder von vorne losgehen würde. Suchmannschaften. Befragungen. Weil Anja Grimm Xaver des Mordes an ihrem Vater verdächtigte. Der ganze Kreis tratschte ohnehin schon über sie. Eine schöne Werbung war das. Und was würde erst geschehen, wenn sich der Verdacht bestätigen sollte?, hatte er in seiner Naivität noch gedacht. Was, wenn es wirklich Xaver gewesen war und sie den Ermordeten fanden? Dann könnten sie einpacken. Dann könnte sich Lukas seine großen Pläne in den Allerwertesten stecken. Von wegen Gollas-Ferienhof! Gollas-FRIEDHOF könnten sie dann auf ihre Broschüren drucken.
    Konrad Dallmann hatte ihnen auseinandergesetzt, dass sie mit allem rechnen müssten. Es gab heutzutage ganz andere Spürtechniken als damals, und sie würden auch die alten Akten noch einmal durchsehen. Es sollte schon nächste Woche losgehen. Sie hatten sich alle nur angeschaut, und keiner hatte ein Wort gesagt. Konrad war die Situation offenbar auch sehr unangenehm gewesen. Rupert hatte ihn seit Schultagen nicht mehr gesehen. Er wusste zwar, dass er in die Fußstapfen seines Vaters getreten war, aber sonst nicht viel. Dass sie sich unter diesen Umständen wiedersahen, machte die ganze Angelegenheit nur noch unwirklicher.
    Dallmann war wieder gegangen. Sie hatten wie betäubt um den Tisch herumgesessen. Lukas war wie immer sofort auf praktische Fragen ausgewichen. Und plötzlich standen seiner Mutter Tränen in den Augen. Vater saß schweigend da mit seinem Opfergesicht, und seine Mutter schluchzte unkontrolliert los. Und dann dieser irrsinnige Satz!
    »Warum sagen wir es nicht einfach, dass es der Xaver gewesen ist?«, rief sie, von Weinkrämpfen geschüttelt. »Damit es endlich vorbei ist.«
    Er hatte seine Eltern fassungslos angestarrt. Sein Vater warf Waltraud einen bitterbösen Blick zu. Aber es war zu spät. Es war aus ihr herausgequollen wie Eiter aus einem geplatzten Abszess. Dass sie es doch seit Jahren wussten. Dass Alois und Anna den Xaver gedeckt hätten. Dass Xaver den Lehrer erschlagen hatte in einem Anfall von Wahnsinn und dass Anna und Alois die Leiche erst versteckt und später beseitigt hätten.
    Er war derart schockiert gewesen, dass er das Haus verlassen musste, um frische Luft zu schnappen. Und beim Blick in den Nachthimmel war ihm erst so richtig klargeworden, wie ungeheuerlich diese ganze Situation war. Er hatte sich an den Moment im Haingries erinnert, als er Anja aus dem Wald herauskommen sah. Er hatte sie nicht erkannt. Wie auch? Aber als sie ihren Namen nannte, da wusste er sofort, wer da vor ihm stand. Schon da hatte er sofort Scham empfunden. Ein Unwohlsein. Ein schlechtes Gewissen, obwohl er zu diesem Zeitpunkt ja noch keine Ahnung gehabt hatte. Aber er hatte sie damals ja wegfahren sehen. Wie sie geweint hatte, weil ihr Papa einfach nicht wiederkam. Er war damals sogar selbst losgegangen und stundenlang im Wald herumgeirrt auf der Suche nach ihm, weil er dieses weinende kleine Mädchen einfach nicht mehr ertragen konnte. Auch wenn sie ihn gar nicht besonders gemocht hatte. Das wusste er durchaus. Sie war Lukas’ kleine Freundin gewesen, nicht seine. Aber er hatte sie gemocht, dieses kleine, hübsche Wesen aus einer anderen Welt, das zwei Sommer lang ein paar Wochen bei ihnen verbrachte. Die kleine Stadtprinzessin mit ihren Pirateneltern, die so anders gewesen waren

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