Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
Vom Netzwerk:
als seine. Ihr Vater mit Pferdeschwanz. Ihre Mutter, die bunte Pluderhosen trug und immer Bücher las. Sie trug sogar einen Goldring an einem ihrer Zehen und keinen Büstenhalter. Einmal kam sie in den Stall, weil Anja ihr irgendetwas zeigen wollte. Da stellte sie ihm Fragen und beugte sich dann zu einem der Tiere hinunter, wobei der weite Ausschnitt ihres Kleides ihre Brüste darbot wie in einer Obstschale. Das hatte ihn ziemlich beeindruckt.
    Und dann verschwand Johannes Grimm, und Anja hörte nicht auf, zu schluchzen und nach ihm zu rufen. Da war schon ein furchtbares Chaos im Haus, mit Polizei und Suchhunden. Anjas Mutter musste sich ständig übergeben. Er hörte, wie sie in der Toilette würgte und keuchte. Das sei die Angst, hatte seine Mutter geflüstert.
    Und jetzt das!
    Er hatte sofort an seine eigene Tochter gedacht. Wie es für sie wäre, wenn ihm etwas zustoßen würde. Wie würde sie weiterleben? Die Vorstellung, seine kleine Tochter an seinem Grab stehen zu sehen, erschien ihm unerträglich. Nicht mehr für sie da sein, nichts mehr für sie tun zu können. Das war es, was Lukas fehlte. Er hatte überhaupt keine Gefühle für andere.
    Ein Wagen schnitt ihm den Weg ab. Rupert bremste, fluchte und machte seinem Ärger über die Lichthupe Luft. Er musste aufpassen, sonst baute er noch einen Unfall wegen seiner Grübeleien. Aber die Gedanken ließen ihn einfach nicht los.
    Er hatte eine Zigarette geraucht und war dann wieder ins Haus gegangen. Alle saßen stumm da und schauten ihn an. Er sagte, man müsse Dallmann sofort zurückrufen und ihn informieren. Und vor allem Anja müsse man sofort Bescheid sagen. Das sei doch wohl das mindeste, was sie tun könnten.
    Seine Mutter wimmerte. Sein Vater schüttelte brüsk den Kopf, und Lukas fuhr ihn an, ob er denn noch alle Tassen im Schrank habe. Es sei doch alles schon schlimm genug. Wenn jetzt die Wahrheit herauskäme, dann sei es eben so. Aber welchen Sinn sollte es denn haben, dass die Eltern sich belasteten? Hatten sie es denn wirklich gewusst? Sie hatten es nur geahnt. Mit zunehmender Gewissheit vielleicht. Aber hatten sie Beweise? Nein. Und was hätten sie tun sollen? Anna und Alois anzeigen? Xaver erneut verhören lassen? Der Lehrer war tot. Letztlich war es ja wohl ein Unfall gewesen, den niemand mehr rückgängig machen konnte.
    Rupert war aus dem Staunen gar nicht mehr herausgekommen. Die einzig anständige Handlung wäre doch gewesen, Anja sofort zu beichten, dass ihr Verdacht von ihnen geteilt wurde. Aber er hatte Lukas sofort angesehen, was in ihm vorgegangen war. Sicher, er war auch geschockt gewesen. Genauso wie er selbst. Aber dann? Worüber hatten sie gesprochen, während er draußen eine Zigarette geraucht hatte? Kaum waren die Büßertränen seiner Mutter getrocknet, kaum hatte sein Vater wieder sein Opfergesicht aufgesetzt, da war es nur noch um den Leybachwald gegangen. Um die Hypothek. Um ihre Zukunft! Über Alois hatten sie geredet und was nun hinsichtlich des Erbes geschehen sollte. Ob man weiterhin abwarten müsse, bis Alois für tot erklärt sei, oder ob Lukas sofort damit beginnen sollte, die Kredite für den Um- und Ausbau der Ferienwohnungen und für die Waldeinrichtung zu beantragen. Das war es, was sie wirklich beschäftigte.
    Er hatte genau gespürt, welche stillschweigende Übereinkunft im Raum hing. Und vor allem, welche Sorge sie umtrieb: Unter welchem Stern stünde der Neuanfang im Leybachwald, wenn demnächst die Leiche von Johannes Grimm darin gefunden wurde? Warum sollten ausgerechnet sie dafür bezahlen? Das hatten sie gedacht. Auch wenn es niemand ausgesprochen hatte. Rupert wusste genau, wie sein Bruder dachte. Konnte man die Vergangenheit nicht einfach ruhenlassen? Wäre es nicht für alle das Beste? Was änderte es jetzt noch, wenn sich herausstellen sollte, dass sein gestörter Onkel schon einmal gemordet hatte? Es war nicht mehr gutzumachen. Anjas Vater würde nicht wieder lebendig.
    Und am nächsten Tag ging dieses Arschloch mit Anja Pizza essen! Er hätte ihr alles sagen sollen, als sie plötzlich neben ihm am Tresen auftauchte und ihm unbedingt ein Bier ausgeben wollte. Warum hatte er ihr denn nicht einfach alles erzählt? Er war doch genauso opportunistisch wie sein Bruder. Oder vielleicht nicht? Der Wald war ihre letzte Chance. Noch so ein Skandal, und sie konnten einpacken. Aber durfte man Anja derart hinters Licht führen, so tun, als habe man nichts gewusst? Er war betrunken gewesen, deshalb hatte er die

Weitere Kostenlose Bücher