Schweigfeinstill
später hatte ich es geschafft: Ich surfte im Netz, probierte ein paar Seiten, checkte meine E-Mails, schloss das Postfach aber, als das Programm mir 22 ungelesene Mails androhte.
Nach einer heißen Dusche fühlte ich mich richtig leistungsstark. Endlich würde ich meine handschriftlichen Notizen in den Text einarbeiten. Ich nahm eine Flasche Chianti aus dem Weinregal unter dem Barbrett, füllte sie langsam in den Dekanter um, ließ den Wein dabei am Glas hinunterlaufen. Meine Güte, was für ein Tag.
Ich suchte mir ein Fertiggericht aus dem Tiefkühlfach, um mich für die kommenden arbeitsintensiven Stunden zu stärken. Ich sollte Juliane anrufen, mich wenigstens bedanken, dass sie bei Loo und Litz vorbeigeschaut hatte. Zwar hatte ich sie nicht darum gebeten, nach den Gänsen zu sehen, aber ihre Fürsorge vermittelte mir ein Stück Geborgenheit. Halbherzig streckte ich die Hand nach dem Telefon aus.
Irgendein Geräusch machte mich stutzig. Ich drehte den Kopf zum Fenster. Schon wieder ein Auto. Wer fuhr bei dem Wetter und um diese Zeit von Ohlkirchen kommend in die verschneite Pampa? Mein Haus hockte am toten Ende. Die Straße führte nach etlichen Kilometern als Flurbereinigungsweg weiter und endete bei Sieling. Ein Schleichweg im Sommer, wenn Touristen die Straße von Ohlkirchen Richtung Starnberger See verstopften. Neugierig spähte ich hinaus. Dunkelheit wie in einer Schuhschachtel. Hier draußen gab es nicht einmal eine Straßenbeleuchtung, und mein Häuschen leuchtete weithin in die Landschaft. Nachdenklich schaltete ich die Mikrowelle an und griff nach dem Telefon, um den Anruf bei Juliane zu erledigen, bevor meine Rindsroulade mit Semmelknödeln heiß war.
Die Fensterscheibe barst mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag. Etwas Kaltes traf mein Gesicht. Instinktiv warf ich mich auf den Boden und landete auf dem Telefon, als müsste ich es beschützen. Ein Keilriemen quietschte. Ein Wagen raste weg. Schneller, als es die kurvenreiche Straße erlaubte.
Ich blieb liegen, die Nase auf dem Fliesenboden, und dachte, dass ich dringend putzen musste. Endlich hob ich den Kopf. Es wurde schnell kalt in der Küche. Auf meinem Ärmel waren Blutspuren. In der Mitte der Scheibe prangte ein riesiges Loch, das die Wärme in die Dezembernacht hinaussaugte. Ich versuchte, den Schwindel zu ignorieren, der meinen Kopf dumpf machte. Starrte das Telefon in meiner Hand an. Und den Stein, der auf dem Boden lag. Er war mit solcher Wucht aufgeprallt, dass er eine Fliese zerschlagen hatte. Ein Zettel war daran befestigt. Genau so, wie Janne und ich es als Kinder immer gespielt hatten. Erpresserbriefe hatten wir geschrieben, aus Blödsinn natürlich, und das Papier mit Schnur an Steine gebunden. Unsere Drohungen warfen wir nur durch geöffnete Fenster, es war ein Spiel für den Sommer.
Ich hob den Stein auf. ›Gib den Auftrag zurück‹ . Mehr stand nicht auf dem feuchten Papier. Wieder Motorengeräusch. Ich stürzte zur Wand und schlug auf den Lichtschalter. Schwärze. Ein Wagen fuhr von Sieling kommend nach Ohlkirchen. Er fuhr nicht besonders schnell. Den Witterungsverhältnissen angemessen, wie es so schön hieß. Ich hielt den Atem an und sah den Lichtkegeln nach, die hinter dem nächsten Hügel verschwanden. Sie kreuzten sich mit dem Scheinwerferlicht eines anderen Wagens, der aus Ohlkirchen kam.
Ich war ausgesetzt. Das Fenster war im Eimer, und ich saß auf dem Präsentierteller für jeden Verrückten, der sich einen Weg zu mir suchen wollte. Mit angehaltenem Atem lauschte ich auf Waterloo und Austerlitz. Warum hatten sich die beiden nicht gerührt? Sie meldeten sonst jeden Besucher, der sich auf 100 Meter meinem Haus näherte. Immer noch presste ich das Telefon gegen meinen Bauch.
Ich war üblicherweise bereit, selbst Verantwortung für mich zu übernehmen. War kein ängstlicher Typ. Konnte klar und nüchtern denken und meine Chancen einschätzen. Jetzt drückte ich die Taste am AB und hörte Kellers Nachricht ab. Tippte seine Nummer und wartete.
»Keller?«
»Hier spricht Kea Laverde.« Ich räusperte mich. »Sie hatten auf meinem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen.« Mein Gott, was war ich für ein Esel! Warum schrie ich ihm nicht entgegen, dass ein Stein mit einer Drohbotschaft auf meinem Küchenboden lag, ein Loch in meinem Fenster klaffte und die Temperatur in der Küche inzwischen auf maximal zehn Grad gesunken war? Erst jetzt spürte ich, dass ich zitterte.
»Guten Abend«, sagte Nero Keller. »Ich
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