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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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den Menschen. Viele knallten durch, weil sie das eintönige, nutzbringende Dasein als Gehaltsempfänger nicht mehr aushielten. Auch ich hatte irgendwann die Entscheidung getroffen, so nicht mehr leben zu wollen. Wenn auch aus anderen Gründen.
    Nachdenklich schlitterte ich zum Auto zurück und verkroch mich hinter dem Steuer. Demnächst würde ich auf dem Sitz festfrieren. Wenigstens für ein paar Minuten musste ich heizen. Ich ließ den Motor an und drehte die Heizung auf höchste Stufe. Hinter mir pirschte ein Wagen die Straße hinauf, wurde langsamer, hielt in zweiter Reihe, wendete und bog in die Pognerstraße. Beinahe verpasste ich den Mann im dunklen Mantel und der Skimütze auf dem Kopf, der so gut wie unsichtbar durch die Haustür von Nummer 28 schlüpfte. Ich stellte den Motor ab und stieg aus. Die Kälte schüttelte mich. Gereizt spähte ich an der Hausfassade hinauf. Eine Jahreszahl war in den Türsturz gemeißelt: 1937. Hinter dem Fenster sah ich Gina Steinfelders Rücken, den Mann, der auf sie zukam und sie umarmte. Dann erlosch das Licht. Ein violetter Schimmer blieb zurück.
    Ich gebe zu, hätte ich nicht die Sturköpfigkeit der Laverdes im Blut, ich wäre heimgefahren. Aber Frau Schweinsmanns Andeutungen in Sachen Models hatten mich angespitzt. Ich drehte meine Runden auf dem Gehsteig, um mich aufzuwärmen, was kaum gelang, denn ein fieser Wind pfiff durch die Straße, und neue, nasse Schneeflocken setzten sich auf mein Haar und meine Jacke. Ich kroch ins Auto zurück. Es ist seltsam, wie viel man mitbekommt, wenn man nur die Geduld hat, zu beobachten. Selbst an diesem späten Dienstagabend herrschte Betriebsamkeit in der abgelegenen Straße. Leute kamen von der Arbeit, gingen zur Arbeit oder machten sich auf den Weg zu einem Bier in einer Kneipe. Diejenigen, die von der Arbeit kamen, wirkten abgekämpft, ihr Gang schleppend. Selbst die Bewegung, mit der sie ihre Hausschlüssel zückten, kam mir kraftlos und resigniert vor. Sie waren geschwächt von der täglichen Routine. »Kannst mal sehen, wie dankbar du für deinen Job sein darfst, Laverde«, sagte ich zu mir selbst. Die Atemwolke, die vor meinem Gesicht aufstieg, machte meine Lippen feucht.
    Eine junge Frau kam auf Nummer 28 zu. Sehr schick gekleidet, das Haar hochgesteckt. Ich sprang aus dem Wagen und lief die Straße hinunter, den Blick zu Boden gerichtet, als suchte ich etwas. Die Frau beachtete mich nicht, dazu hatte sie auch kein Gelegenheit, denn sie war damit beschäftigt, auf ihren hochhackigen Schuhen durch den Schnee zu navigieren. Ich sah hoch, als sie auf den Klingelknopf drückte. ›Lehr‹.
    Ich fing die Tür auf, bevor sie ins Schloss fallen konnte, und ging hinein. Eine zweite Tür führte zum Hinterhaus. Ein Gerüst stand an der Wand. Ich dachte nicht nach. Ich kletterte. Die Leitersprossen waren vereist. Zweimal rutschte ich ab. Meine eiskalten Finger klammerten sich in Panik fest. Auf Höhe des zweiten Stocks richtete ich mich vorsichtig auf. Die Vorhänge waren zugezogen. Dahinter brannte Licht, aber durch den dunklen Stoff konnte ich nichts sehen. Müde hockte ich mich auf meine Fersen. Mir war kalt. Ich hatte keine Nerven mehr für solche Ausflüge. Als ich das Gerüst hinunterklettern wollte, kam jemand über den Hinterhof. Mit klappernden Zähnen wartete ich. Noch jemand kam, einen Dackel an einer langen Leine hinter sich herziehend. Hund und Herrchen schlurften desinteressiert zum Hinterhaus. Als ich mich aufrichtete, schmerzte mein Bein. Entschlossen griffen meine Hände nach der Leiter. Mit geschlossenen Augen stieg ich hinunter.
    Als ich aus dem Haus trat, bog ein Streuwagen in die Straße ein. Das gelbe Blinklicht echote grell von den Hauswänden. Ich stieg in mein eiskaltes Auto. Müde lehnte ich meinen Kopf zurück und überlegte. »Was jetzt, Laverde?« Irgendwie brach meine Neigung zu Selbstgesprächen durch. Menschen, die viel allein waren, konnten oft nicht anders. »Blöde Entschuldigung«, sagte ich zu meinem Rückspiegel und musste grinsen.
    Aber was sollte ich tun? Hier festfrieren, während Gina Steinfelder, der ominöse Herr Lehr und das Model sich einen schönen Abend gönnten? Meine Güte, was ging mich das an?
    Ich rief Carlos Handy an.
    »Ach, Kea!« Im Hintergrund hörte ich die typischen Geräusche aus dem Piranha. »Das mit deinem Fenster geht klar. Morgen am späten Nachmittag wird es ausgewechselt.«
    »Du meinst, ich habe die ganze Nacht ein Loch in der Scheibe?«
    »Na, komm schon!« Carlos

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